Mieses Karma
verabschiedete sich mit einem «Ich geh meinen Pipimann waschen» (das konnte ich nicht ganz so einwandfrei lesen) und
ging ins Schlafzimmer, während Nina ihm mit einem Gesichtsausdruck nachblickte, der sagte «Das wird noch was mit uns beiden»
(das konnte ich wieder ganz klar lesen).
Ich starrte sie wütend an. Meine Phantasien in diesem Augenblick hätte man unter dem Titel «Die Attacke des Killermeerschweinchens»
verfilmen können.
«Das Wallalalala-Weibchen ist ein gutes Wesen», riss mich die Meerschweinchenmama aus meinen Monster-Movie-Phantasien heraus.
|125| «Dem Männchen ist vor kurzem sein altes Weibchen gestorben. Und jetzt kümmert sie sich lieb um ihn.»
«Gutes Wesen, pah!», fiepte ich so sarkastisch, wie ein Meerschweinchen nur sarkastisch fiepen konnte – was zugegebenermaßen
nicht allzu sarkastisch klang.
Dann schaute ich wieder zu Nina und überlegte mir, wie man sie loswerden könnte. Doch außer dem wenig sinnträchtigen Plan,
mir selbst die Tollwut einzufangen und Nina dann zu beißen, fiel mir nichts ein.
Stattdessen fand Nina einen Weg, mich aus dem Verkehr zu ziehen.
«Meinst du wirklich?», fragte Alex, als er mit Nina am nächsten Tag vor unserem Stall stand.
«Ich bin mir ganz sicher», bestätigte Nina, und ich merkte: Hier ging es nicht mehr um Pipimänner mit Dolby Digital.
«Es wird Lilly das Herz brechen, wenn wir die Meerschweinchen weggeben», erwiderte er.
Weggeben? Sie wollten uns weggeben?
«Es ist das Beste für die Kleine», sagte sie und Alex nickte.
«Das Beste?», fiepte ich. «Wie kommst du denn darauf, dass das das Beste ist? Das Beste ist, wenn du dich zur Hauptverkehrszeit
auf die A1 stellst.»
«Das Gesicht der Kleinen ist schon angeschwollen», sagte Nina, «Lilly ist definitiv allergisch gegen Meerschweinchenhaare.»
O nein, das hatte ich nicht bedacht! Die Kleine hatte die ganze Zeit geniest und sich gekratzt, und das lag nicht an irgendeiner
Erkältung oder einem Ausschlag, sondern an mir. Und was noch schlimmer war: Nina veranstaltete das Ganze aus Sorge um die
Kleine. Das bedeutete, sie punktete bei Alex.
|126| Ich tat meinen Protest lautstark fiepend kund.
«Die Mama müssen wir erst mal behalten. Sie ist zu groß. Aber ich kann die anderen Meerschweinchen mit zur Arbeit nehmen»,
sagte Alex.
Ich hörte auf zu fiepen. Alex hatte Arbeit?
Da fiel es mir wieder ein: Kurz vor meinem Tod hatte Alex mir erzählt, dass sein Kumpel Bodo ihm einen Job an der Uni angeboten
hatte. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter.
Im Tierversuchslabor.
Und ich fiepte Amok!
11
Aus Casanovas Erinnerungen: Ich fiepte die nächsten Stunden eine Oktave höher.
[ Navigation ]
26. KAPITEL
Am nächsten Morgen fand ich mich mit meinen Geschwistern in einem kleinen Drahtkäfig wieder. Der stand in einem kargen, fensterlosen
Raum auf einem Holztisch, direkt neben einem Computer, der seine besten Jahre Ende der 90er gesehen hatte. Wir atmeten Klimaanlagenluft.
Es war Alex’ neues Büro in einem ausgelagerten Forschungskomplex am Stadtrand. Ein trostloser Ort, der jeden Feng-Shui-Spezialisten
in den Freitod treiben würde.
Und mir war auch schon nicht gut.
Warum hatte Alex nur diese Stelle angenommen? Tierversuche – auch für einen noch so guten Zweck – gingen Alex doch so gegen
den Strich. Und ich hatte doch genug Geld hinterlassen und …
Au, verdammter Mist, das hatte ich nicht! Ich hatte all mein Geld in die Villa gesteckt, weil ich mich bei den Renovierungskosten
total verkalkuliert hatte. Und eine Lebensversicherung hatte ich nicht abgeschlossen. Um Hypotheken und Lebensunterhalt aufzubringen,
musste Alex nun arbeiten.
|127| Was sind wir Verstorbenen doch nur für Egozentriker! Die ganze Zeit hatte ich darüber nachgedacht, wie fies das Leben nach
dem Tode ist. Aber das Leben vor dem Tode war für die Hinterbliebenen fast genauso schwer.
Das bereitete mir so ein schlechtes Gewissen, dass ich mir erst mal Luft machen musste: Ich haute den Offensivkuschler.
«Lass das endlich, du Kretin!», motzte er.
Ich staunte. Nicht nur, weil das schwarze Meerschweinchen mit dem weißen Fleck am Auge seinen Sprechapparat entwickelt hatte,
sondern auch ob seiner Ausdrucksweise. Ich testete meinen eigenen Sprechapparat: «Ss …»
Meine Stimmbänder waren noch etwas rostig, dennoch kämpfte ich die Worte heraus: «Sind Sie Casanova?»
Die Augen des Kuschlers leuchteten auf: «Madame Kim?»
«Ja», erwiderte ich
Weitere Kostenlose Bücher