Mieses Karma
Martha an und stellte fest: Es gibt Menschen, bei denen fällt es leichter, die Animositäten zu vergessen, wenn
sie nicht in der Nähe sind.
Nina führte Martha in das Haus und machte die Terrassentür zu. Durch das Glas sah ich, wie gut die beiden sich verstanden.
Sie lachten und amüsierten sich, und ich war völlig perplex: Man konnte sich mit meiner Mutter amüsieren? Mit der Frau, die
nur lacht, wenn sie 1,3 Promille im Blut hat? Tat Nina meiner Mutter etwa auch gut?
Au Mann, diese «Nina tut gut»-Geschichte nervte vielleicht!
Als Alex mittags nach Hause kam, fragte er mich: «Hey, was hältst du von Gassigehen?»
«Du nimmst den Hund mit, aber mich nicht?», fragte Nina.
|169| «Ich will alleine ans Grab», antwortete Alex, und ich schluckte: Er redete von meinem Grab.
Nina verstand und nickte stumm.
«Was ist, willst du nun mit?», fragte Alex mich.
Ich war unentschlossen. Das eigene Grab zu sehen war sicherlich nicht gerade der Höhepunkt in der Sightseeingtour des Lebens.
Alex lächelte mich an, und so ermuntert machte ich ein zustimmendes Winselgeräusch und ging mit ihm zum Friedhof.
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Aus Casanovas Erinnerungen: Mademoiselle Nina verschenkte die Meerschweinchen an eine alte Dame, deren Domizil in der Nähe
lag. Ich besuchte die Tiere als Kater des Öfteren, um nach dem Rechten zu sehen. Und um die Katze zu verführen, die dort lebte.
Ich liebte zwar Mademoiselle Nina. Doch Liebe ist kein Grund für Abstinenz.
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36. KAPITEL
Auf dem Weg wurde mir klar, warum Alex mich dabeihaben wollte. Er brauchte jemanden zum Reden. Jemanden, der ihm nicht dazwischenquatschen
würde. Jemanden, dem er die größten Geheimnisse anvertrauen konnte. Einen Hund eben. Hätte er auch nur einen blassen Schimmer
gehabt, wer dieser Hund neben ihm war, er hätte geschwiegen.
«Weißt du …», fing er an und unterbrach sich gleich wieder. «… Wie heißt du eigentlich?»
Was sollte man darauf als Antwort bellen?
«Ich nenn dich einfach Tinka», sagte Alex.
Ein Name, mit dem ich leben konnte.
«Weißt du, Tinka, meine Frau ist heute vor zwei Jahren gestorben.»
Ich sah wieder vor meinem geistigen Auge, wie die bekloppte Raumstation auf mich zuraste.
«Und ich habe sie sehr geliebt», sagte Alex.
Wie? Er hat mich auch zum Schluss noch geliebt?
|170| «Kurz bevor sie starb, war unsere Ehe am Ende. Sie liebte mich nicht mehr. Und das hat mich total fertiggemacht.»
«Was?», bellte ich ihn an. «Warum hast du mir das nie gesagt?»
Er schaute mich überrascht an: «Ist was?»
Ich tat hastig so, als ob ich mich für einen Baum interessieren würde und deswegen gebellt hätte.
«Ich hätte um sie kämpfen sollen …», sagte Alex und ging nachdenklich weiter. Inzwischen hatten wir den Friedhof erreicht; ich drehte mich um und sah unsere
Fußspuren in der dünnen Schneedecke. Es war ohnehin noch sehr kühl für diese Jahreszeit, und jetzt hatte sich das Wetter nochmals
zum Schlechten gewandelt. Nasser Schnee fiel vom Himmel und machte den Friedhof endgültig zum unwirtlichen Ort.
«Warum hast du denn nicht gekämpft?», bellte ich. Aber natürlich verstand er die Frage nicht. Stattdessen blieb er stehen,
atmete tief ein und sagte: «Ich vermisse sie. So sehr.»
Ich konnte es kaum glauben.
«Willst du wissen, warum ich nicht um sie gekämpft habe?», fragte Alex.
«Ja, verdammt nochmal!», bellte ich.
«Ich hatte das Gefühl, ich bin nicht gut genug für sie.»
O Gott, wie kam er denn darauf?
«Sie war erfolgreich. Und ich hab nichts auf die Reihe bekommen.»
Ich schluckte.
«Und ich habe sie immer angemotzt, dass sie sich nicht genug um mich und Lilly kümmerte. Aber im Hinterkopf hatte ich dabei
immer, dass sie erfolgreicher war und ich ein Nichts. Komisch, nicht wahr, ich hatte meiner eigenen Frau gegenüber Minderwertigkeitskomplexe.»
|171| Das hatte er mir nie gesagt.
«Bei Nina ist das anders», erklärte er, und ich war wie vom Donner gerührt. «Sie ermutigt mich, steht zu mir. Ohne sie hätte
ich nie den Fahrradladen eröffnet.»
Deswegen war er mit ihr zusammen? Weil er bei ihr selbstbewusster sein konnte?
«Und sie hat lange auf mich gewartet.»
«Lange?»
«Ich hab sie erst nach eineinhalb Jahren das erste Mal geküsst.»
Ich wiegte meinen Kopf hin und her: Achtzehn Monate wären für außenstehende Beobachter, die wussten, dass unsere Ehe am Ende
gewesen war, vielleicht eine lange Zeit gewesen. Aber meiner Meinung
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