Mieses Karma
hätte er mindestens achtzehn Jahre warten müssen. Oder
besser: achtzehn Leben!
«Dennoch war es gut, dass du gestern gekommen bist. Ich hätte sonst bei Ninas Antrag ‹nein› sagen müssen. Ich habe das Gefühl,
dass ich Kim verrate, wenn ich Nina heirate.»
«Genau das tust du», jaulte ich auf.
«Sag mal, kannst du mich verstehen?», staunte Alex. Ich schüttelte schnell den Kopf.
Das war nicht schlau.
Denn genau diese Reaktion verriet mich.
«Du verstehst mich wirklich?» Alex konnte es nicht fassen.
Ich wusste überhaupt nicht mehr, wie ich reagieren soll. Ich entschied mich für nervöses Schwanzwedeln.
«Ach, ich fange schon an, mir Dinge einzubilden», sagte Alex. Dann ging er weiter über den Friedhof. Ich folgte ihm und stellte
mir jede Menge Fragen: War ich schuld am Ende unserer Ehe? Wäre sie zu retten gewesen, wenn ich etwas |172| mehr so wie Nina gewesen wäre? War sie sogar die bessere Frau für ihn?
Aber die allerwichtigste Frage, die mir durch den Kopf schoss, lautete: Was zum Geier macht Daniel Kohn auf dem Friedhof?
Eine Frage, die Alex sich ebenfalls stellte. Und er richtete sie auch gleich an Daniel Kohn: «Was machen Sie hier?»
Daniel schaute ihn überrascht an, Alex hatte ihn offenbar aus seinen traurigen Gedanken gerissen. Der Schnee hatte auf Daniels
Schultern schon eine kleine Decke gebildet. Anscheinend stand er schon eine Weile vor meinem Grab.
Es hatte keinen Grabstein, sondern eine Platte, auf der eine Sonne zu sehen war und die Worte: «In ewiger Liebe, deine Familie».
Als ich das sah, begann ich laut zu heulen.
«Was hat denn der Hund?», fragte Daniel.
«Keine Ahnung, mal denke ich, er ist ein ganz besonderes Tier. Und mal denke ich, er ist einfach nur verrückt», erwiderte
Alex.
Und ich dachte mir: Mit beiden Vermutungen hat er recht.
«Was machen Sie an dem Grab meiner Frau?», hakte Alex nach.
«Sie sind der Ehemann von Kim?», fragte Daniel zurück. Nichts in seiner Miene verriet, dass er mit mir in der letzten Nacht
meines Menschenlebens geschlafen hatte. Kohn besaß nun mal ein Pokerface.
«Herzliches Beileid», sagte er, ohne Alex die Hand zu geben.
Und ohne auf die Frage einzugehen.
Alex erwiderte nichts: Sollte er bislang nicht geahnt haben, |173| dass Daniel und ich was miteinander gehabt hatten, dann war es jetzt so weit. Zumal Daniel eine rote Rose in der Hand hatte.
Unglaublich. Eine rote Rose. Männer finden das normalerweise kitschig. Aber wir Frauen, besonders wir toten Frauen, finden
so etwas rührend. Es bedeutete: Daniel Kohn hatte Gefühle für mich.
Innerhalb von wenigen Minuten erfuhr ich also, dass die beiden Männer in meinem Menschenleben mich bis zum Schluss geliebt
hatten.
Das war schön.
Verwirrend, aber schön.
Blöd nur, dass ich als Beagle nicht allzu viel davon hatte.
Alex und Daniel blickten sich in die Augen. Jeder wusste, was Sache ist. Daniel legte souverän die Rose auf das Grab, nickte
Alex zu und ging. Er war schon ein cooler Hund. Jedenfalls ein coolerer als ich.
«Tinka, glaubst du, dass die beiden was miteinander hatten?», fragte mich Alex.
Ich schüttelte hastig mein Beagleköpfchen.
Aber das konnte seine Zweifel offenbar nicht zerstreuen. Alex sprach den gesamten Weg nach Hause nicht mehr mit mir.
Und ich wusste: Seine Hemmungen, Ninas Antrag anzunehmen, waren gerade gewaltig gesunken.
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|174| 37. KAPITEL
Die nächsten Tage sah ich Nina und Alex in Aktion. Sie machten so gut wie alles gemeinsam: Haushalt, Ausflüge, Shoppen – auf
diese Weise verbrachten sie an einem Tag fast mehr Zeit miteinander als Alex und ich früher im Quartal. Nina kümmerte sich
auch um Martha, die alle nasenlang zu Besuch kam. Sie versuchte sogar, sie für ihr Reisebüro als Aushilfe anzulernen. Ich
verstand zuerst nicht genau, warum sie das tat, doch nach und nach wurde mir klar: Nina mochte die alte Dame. Seltsam, aber
wahr. Man konnte meine Mutter anscheinend mögen.
Aber das Schlimmste war, dass Nina auch viel Zeit mit Lilly verbrachte. Sie half ihr sogar bei den Hausaufgaben, mit einer
beeindruckenden Geduld (ich selbst hatte zu Kindergartenzeiten nicht mal die Muße gehabt, ihr vernünftig das Schleifebinden
beizubringen, und daher nur Schuhe mit Klettverschlüssen gekauft). Sie brachte Lilly sogar dabei zum Lachen.
Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mittlerweile diese «Nina tut gut»-Gedanken hasste.
Nina war dabei, sich eine richtige kleine Familie
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