Milano Criminale: Roman (German Edition)
schildern«, protestiert Santi. »Das sind wir Nicolò schuldig.«
Der Vorgesetzte weiß nicht recht, was er sagen soll.
»Und wie, guagliò ? Das wollen diese Ärsche doch gar nicht hören.«
»Ich kenne einen, der das tun kann.«
Und ohne die Antwort seines Chefs abzuwarten, greift er zum Telefon und wählt Basiles Nummer.
Eine halbe Stunde später sitzt der Reporter im Polizeipräsidium. Sie haben ihn durch einen Seiteneingang eingeschleust, um seine Kollegen zu umgehen, die sich vor dem Haupteingang drängen und nach Neuigkeiten gieren.
Santi kommt gleich zur Sache.
»Mario, du bist jemand, dem ich vertraue. Deshalb will ich dir unsere Version der Geschichte erzählen.«
Der alte Journalist zündet sich an der glimmenden Kippe zwischen seinen Fingern die nächste Zigarette an. Interessiert mustert er den Bullen. Er muss herausfinden, ob sie ihn linken oder als Spielball benutzen wollen. Um ihnen in beiden Fällen eine Abfuhr zu erteilen.
Antonio zeigt keinerlei Gefühlsregung. Entschlossener Blick, kein Lächeln, keine Bewegung von Händen oder Armen. Er bleibt stocksteif und wartet auf Basiles Antwort.
»Nur wenn ich alle Fragen stellen darf, die mir in den Sinn kommen«, erwidert der schließlich.
»Einverstanden, aber du darfst deine Informationsquelle nicht preisgeben. Du wirst nur sagen, dass du alles von einer nicht näher benannten Quelle aus dem Innern des Polizeipräsidiums hast.«
Der Chronist reißt die Augen auf.
»Was?«
»Du hast schon verstanden«, erwidert Santi ernst. »Keine offizielle Stellungnahme. Der Questore weiß nichts von dem hier. Und so soll es auch bleiben. Haben wir uns verstanden?«
Der Reporter nickt. Sie müssen sich nicht die Hand geben, sie vertrauen einander.
»Erstens«, beginnt Cimmino am Daumen aufzuzählen, als die Bürotür hinter ihnen zugegangen ist, »war die Zahl der Zusammenstöße riesig, auf den Straßen herrschte regelrecht Krieg, geführt mit allen Mitteln. Siebzig Verletzte insgesamt, davon zweiundsechzig auf Seiten der Ordnungskräfte. Alles Unfälle, weil wir ungeschickt und unvorbereitet waren?«
Basiles einzige Antwort ist ein Kopfnicken.
»Zweitens: Die Fotos sprechen für sich«, und er verteilt ein knappes Dutzend Bilder einer Sofortbildkamera über dem Schreibtisch. »Auf der Erde, entlang der Via Larga und neben Nicolòs Wagen liegen viele Dutzend dieser dünnen Eisenrohre von den Baugerüsten, die wurden praktisch demontiert.«
»Darf ich die Fotos mitnehmen?«
»Nein, aber ich bin mir sicher, dass ihr so ähnliche auch bei euch in der Redaktion habt.«
»Weiter.«
»Drittens: Eine dieser Stangen hat sich in Nicolò Martinez’ Schläfe gebohrt. Das werden die Amtsärzte nach der Autopsie schwarz auf weiß bestätigen. Die Untersuchung des Leichnams wird ergeben, dass die Stange mit solcher Wucht in den Kopf des Beamten getrieben wurde, dass jede Hypothese über einen Autounfall hinfällig wird. Verstehen Sie? Nichts in einem Fahrzeug kann eine solche Verletzung hervorrufen.«
Der Journalist hebt den Blick von seinem Büchlein, in das er sich mit kleiner, krakeliger Handschrift Notizen macht.
»Habt ihr Unterlagen, die das beweisen?«
»Bisher nicht. Aber ich versichere Ihnen, dass Sie der Erste sein werden, der darüber schreibt, dass Sie den anderen um Längen voraus sind, denen wir die Ergebnisse erst in den nächsten Tagen mitteilen. Kann ich jetzt fortfahren?«
In Basiles Augen glimmt ein Licht. Das könnte ein Hinterhalt sein oder ein ganz großer Knaller. Er wechselt einen Blick mit Santi.
»Einverstanden, fahren Sie fort, ich werde Sie nicht mehr unterbrechen.«
»Martinez wurde vorsätzlich angegriffen, und im Autopsiebericht werden sämtliche Details dazu zu lesen sein. Vor allem wenn erst einmal das Gestänge der Baugerüste auf der Via Larga untersucht ist, dessen Durchmesser 48 Millimeter beträgt, und dann der Querschnitt mit der kreisförmigen Wunde an Nicolòs Schädel verglichen ist, wird bewiesen sein, dass sie korrespondieren. Was schließen Sie daraus?«
Antonio sagt die ganze Zeit kein Wort. Nicht einmal, als er Basile mit einem Händedruck verabschiedet, nachdem er ihn heimlich aus dem Präsidium gelotst hat.
Der Artikel, der am selben Nachmittag in ›La Notte‹ erscheint, ist gut. Genau und detailreich gibt er wortgetreu ihre Unterhaltung wieder, nur dass die Identität des Bullen, der geplaudert hat, im Dunkeln bleibt. Er wimmelt nur so von »es heißt«, »es scheint so«, »wie Quellen der
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