Milano Criminale: Roman (German Edition)
ist die Bevölkerung ebenso elektrisiert wie vor Jahrtausenden von den Zirkus-Gladiatoren. Selbst Lampis kann sich der Faszination nicht entziehen: Er ist voller Bewunderung für das, was die Jungs erreicht haben. Dass sie gefasst wurden, ist dabei unerheblich. Und er stößt einen Seufzer der Erleichterung aus, denn um ein Haar wäre auch er unter den Festgenommenen gewesen. Ein paar Wochen zuvor hatte er nämlich Bellini kontaktiert: ›Radio Mala‹ hatte verkündet, es würden aufgeweckte Jungs für ein großes Ding gesucht.
Den Tipp hatte er von seiner Frau Chantal bekommen, die bestens in den Nachtclubs der Szene eingeführt war und freundschaftliche Beziehungen zum Marseille-Milieu pflegte – wenn nicht gar mehr.
Der Amerikaner und der Marseiller hatten sich einen Abend lang in einer Bar in dem Stadtteil Barona beschnüffelt: ein bisschen Smalltalk, reichlich Pernod, doch dabei war es dann geblieben. Keine Chance, die Sache zu vertiefen, denn Lampis hätte sich niemals mit Handlangerdiensten zufriedengegeben: Er wollte ganz oben am Kopf der Bande mitmischen. Doch diese Posten waren schon besetzt durch Bellini selbst und Jo Le Maire.
Im Rückblick kann Lampis nur feststellen, dass es so viel besser für ihn gelaufen ist, immerhin bleibt ihm dieses Mal der Knast erspart.
›Manche Sachen hat man einfach im Urin‹, denkt er.
Genau wie bei seinem neuen Partner Pietro Vagnozzi, genannt Janot, mit dem er sofort handelseinig war. Gleichberechtigt, keine Bosse. Sie haben sich in der Haft kennengelernt, wo man entweder zu ewigen Feinden wird oder aber zu so dicken Freunden, dass man auch draußen zusammenhält.
Nach monatelanger Trennung führt das Schicksal sie in einem Nachtclub in Como wieder zusammen. Beide feiern gerade einen gelungenen Coup und werfen mit Geld nur so um sich. Am Ende stoßen sie gemeinsam auf ihr Wiedersehen an, und so entsteht – zwischen Animierdamen und einigen Flaschen Krug – die Idee eines Raubüberfalls für vier Hände. Und auf keinen Fall soll es ein kleines Ding werden. Vielleicht liegt es am perlenden Champagner, vielleicht an der anregenden Wirkung des Heroins oder den halbnackten Damen, die an ihnen kleben, jedenfalls beschließen die beiden, ganz hoch zu zielen: auf die Juwelen von Miss Italia.
Was zunächst wie eine Schnapsidee klingt, nimmt schon am nächsten Tag Gestalt an. In den Zeitschriften sind die märchenhaften Bulgari-Juwelen Thema, mit denen sich die Siegerin schmücken darf: ein Krönchen und das Zepter mit eingelassenen Achthundert-Karat-Brillanten.
Chantal wird allein beim Gedanken daran ganz kribbelig. Zu gerne würde sie selbst einmal so etwas tragen, am liebsten nackt. Und natürlich ist sie mehr als bereit, es ihm auf ihre Art zu danken.
Wenn alles nach Plan läuft, wird sie den Schmuck anprobieren und sich mit ihm amüsieren dürfen, zumindest, bis er an den Hehler weiterverkauft wird. Die Sache ist entschieden, es gibt kein Zurück.
Am Abend des Coups glitzert Salsomaggiore in tausendfachem Lichterglanz. Fotografen, Journalisten, Schaulustige, Starlets. Alle warten auf die Kür der schönsten Frau Italiens.
Janot und der Amerikaner halten es kaum aus in ihrem blauen Fulvia, der vor dem Hintereingang des Theaters parkt, in dem die Veranstaltung stattfindet. Sie wissen, dass die bewaffneten Wachleute, die den Schmuck in Gewahrsam haben, dort hineingehen werden. Zumindest ist das das Ergebnis ihrer Recherchen vor Ort und einer Unzahl von Aussagen geschmierten Bühnenpersonals und Laufburschen. Der Plan sieht vor, die Überbringer hinterrücks zu überraschen und sofort zu verduften. Doch leider beschließen die Verantwortlichen des Wachdienstes in letzter Minute, Krone und Zepter durch einen Seiteneingang ins Gebäude zu befördern.
Den beiden Verbrechern wird ihr Reinfall erst klar, als sie im Radio hören, dass Mirka Sartori aus Treviso zur Miss Italia 1964 gekrönt wurde.
»Und womit wurde sie gekrönt?«, fragt der Amerikaner und reißt die Augen auf.
Der Sprecher kommt Janots Antwort zuvor: mit einem Krönchen von Bulgari.
»Sie haben uns gearscht«, fährt Lampis fort. »Sie müssen den Schmuck durch einen anderen Eingang hineingeschafft haben, während wir hier draußen wie die Esel stehen und warten, wir ciula !«
Der Amerikaner würde am liebsten aus dem Wagen springen und vor Wut alles kurz und klein schlagen. Doch dann hat er einen anderen Einfall. Verbrecherinstinkt.
»Schau mal da«, fordert er seinen Sozius auf.
Janot liest die
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