Milchbart (German Edition)
seltsame Stimmen. Rudolf Dorner, zweiundfünfzig, kann die Finger nicht von den Tippscheinen lassen. Michaela Kofler, einunddreißig, kleptomanisch. Das sind sie, die vier, die da mit Hornschuh palavern.«
Fanni klappte ihren Unterkiefer, der abwärtsgesackt war, wieder hoch. »Woher wissen Sie das alles? Wir sind doch angehalten, nicht über unsere …«
»Macken«, half Alexander aus.
Fanni nahm es an. »Über unsere Macken zu sprechen. Und vom Personal kann man doch wohl strengste Diskretion erwarten.«
Alexander lächelte schelmisch. »Ich bin ja schon eine ganze Weile hier. Und wie ich vorhin bereits erwähnt habe, besitze ich Augen und Ohren – scharfe in beiden Fällen, wenn ich das noch anmerken darf.«
Der Professor war inzwischen zum nächsten Tisch gegangen, wo eine übertrieben blondierte, mit einer Unmenge von Schmuck behängte Dame mittleren Alters und ein gut aussehender Herr Anfang fünfzig saßen.
»Franz Karg, Burn-out«, sagte Alexander. »Elvira Kübler …« Er hob die Schultern und machte ein ratloses Gesicht.
Wie, der ansonsten offenbar so blendend informierte Milchbart will uns weismachen, über Klunkerlady nicht Bescheid zu wissen?
Vor zwei Wochen schon (bei ihrem ersten Abendessen im Speiseraum bereits) war Fanni auf die Blonde aufmerksam geworden, weil sie so maßlos herausgeputzt wirkte. Auch heute trug sie wieder mehr Schmuck, als guttat, und ein tief dekolletiertes Kleid.
Scheinen aber echt zu sein, die Steinchen!
Ja, dachte Fanni. Und auch das Kleid stammt nicht von C & A .
»Sind die beiden ein Paar?«, fragte sie, denn Herr Karg und Frau Kübler wirkten recht vertraut miteinander, und Fanni erinnerte sich, sie schon mehrmals zu zweit an einem Tisch gesehen zu haben.
Alexander zog die Stirn kraus, als müsse er scharf nachdenken. »Sechs Tage, würde ich sagen. Vor sechs Tagen sind sie gemeinsam zum Frühstück erschienen.«
»Es tut mir wirklich leid.« Die Stimme gehörte Professor Hornschuh. Er war unvermittelt an ihren Tisch getreten und stand jetzt hinter dem leeren Stuhl, der sich zwischen Fanni und Alexander befand. »Für Frau Bogner, für die Klinik, für die Patienten, aber ganz besonders tut es mir leid für Sie beide. Wie fühlen Sie sich?«, fragte er an Fanni gewandt.
»Verdächtig«, antwortete sie. »Mit Fug und Recht gelte ich als verdächtig.«
Hornschuh warf ihr einen besorgten Blick zu und schaute dann zu Alexander hinüber, der trocken hinzufügte: »Nur wir beide kommen als Täter in Frage.«
Hornschuh rückte sich den Stuhl zurecht und nahm Platz. »Die Situation ist prekär, das muss ich wahrhaftig zugeben. Aber lassen Sie uns die Pferde nicht gleich scheu machen. Die Polizei steht ja erst ganz am Anfang der Ermittlungen. Man hat noch längst nicht alle Zeugenbefragungen durchgeführt, noch längst nicht alle Spuren ausgewertet …«
Bla, bla, bla!
»Glauben Sie mir, es sind äußerst fähige Kriminalbeamte, die den Fall bearbeiten, sie werden bis ins Kleinste herausfinden, was heute Morgen geschehen ist.«
»Und wenn nicht?«, fragte Fanni.
Hornschuh zog die linke Augenbraue hoch.
Das kann ich auch, dachte Fanni und ließ ebenfalls eine Braue nach oben wandern. Dann sagte sie: »Was man finden wird, sind eine Menge Hinweise, die dafür sprechen, dass Herr Pauß oder ich oder wir alle beide die Mörder sind. Wonach man aber suchen sollte, ist ein Motiv.«
Oho, Miss Marple tritt auf den Plan, macht sich daran, den Fall zu lösen, und lässt die Kriminalbeamten wieder einmal als Trottel dastehen!
Sichtlich bemüht, Fanni zu beschwichtigen und sie gleichzeitig in wünschenswerte Schranken zu verweisen, legte der Professor eine Hand auf ihren Arm. »Sie müssen sich keine Sorgen machen, Frau Rot. Entspannen Sie sich. Gehen Sie zum Qigong und zur Yogastunde und überantworten Sie es den …«
Fanni ließ ihn nicht ausreden. »In diesem Fall kann einzig und allein das Motiv zum Täter führen.«
In puncto Starrsinnigkeit kann absolut niemand Fanni Rot das Wasser reichen!
»Das wird es ja sicherlich auch«, pflichtete ihr Hornschuh rasch bei. »Und die Kommissare werden es bald aufspüren.«
»Dazu brauchen unsere Ermittler aber ausreichend Angaben zum Opfer«, entgegnete Fanni. »Hatte Frau Bogner Familie?«
Hornschuhs Gesichtsausdruck nahm einen schmerzlichen Zug an. Mit einem tiefen Atemzug lehnte er sich zurück. »Wie oft ich diese Frage heute wohl schon beantwortet habe? Aber nachdem Ihnen offenbar viel daran liegt, so weit als
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