Milchbart (German Edition)
zwei Rückschlüsse zu: Entweder hat Michaela den Engel in Marita Bogners Zimmer gefunden, was bedeuten würde, dass sie nach Alexander dort war, oder …« Er sprach nicht weiter.
Oder Alexander lügt das Blaue vom Himmel herunter!
Fanni wollte gerade wieder darauf pochen, dass die nun einmal festgelegten Prämissen eingehalten werden mussten, besann sich jedoch eines Besseren.
Sehr vernünftig, sich von Milchbart nicht völlig einlullen zu lassen. Was, wenn er doch der Mörder ist und es versteht, die Kriminalbeamten genauso einzuwickeln wie dich?
Dann, dachte Fanni, lande ich tatsächlich im Knast.
7
Sprudel hatte Fanni in seinem Wagen zur Klinik zurückgebracht. Als er Anstalten machte, sie hineinzubegleiten, lehnte sie ab.
»Lass uns lieber noch eine Runde um den Teich spazieren.«
Sobald sie ans Wasser traten, spürte Fanni die Kälte. Sämtliche Wolkenlücken hatten sich geschlossen, bald würde die Dämmerung einsetzen. Fanni starrte auf die schwarze Wasseroberfläche und fröstelte. »Manchmal schaut er fast bedrohlich aus.«
Sprudel legte den Arm um ihre Schultern. »Weil er ziemlich tief zu sein scheint und offenbar unbelebt ist. Der Grund muss mit Schlamm bedeckt sein, der vor sich hin gärt. Wer weiß, wie, wann und warum dieser Riesentümpel entstanden ist.«
»Bei Sonnenschein hat er ein ganz anderes Gesicht.« Fanni wandte sich deprimiert ab. Sie hatte plötzlich das Gefühl, als würde von irgendwoher eine Bestie auf sie zukriechen.
»Langsam wird es ungemütlich hier draußen«, sagte Sprudel. »Schau, es fängt schon an zu regnen.«
Im gleichen Augenblick spürte Fanni, wie ein Tropfen ihre Nasenspitze traf.
Gemeinsam gingen sie mit schnellen Schritten auf das Klinikgebäude zu. Kurz davor blieb Fanni stehen. Sie trat ganz nah an Sprudel heran und drückte ihm einen Kuss auf die faltige Wange.
»Danke, dass du für mich da bist.«
Es dauerte einen Moment, bis er sich von seiner Überraschung erholt hatte.
Inzwischen war Fanni durch die Eingangstür verschwunden. Sie eilte quer durchs Foyer auf die Treppe zu, hatte den Fuß bereits auf der ersten Stufe, als sie Michaela Kofler entdeckte, die vor der Getränketheke stand und eine Reihe von Fotos an der Pinnwand dahinter studierte.
Spontan kehrte Fanni um und gesellte sich zu ihr.
»Die Belegschaft der Parkklinik«, sagte Michaela. »Der Hausmeister hat die Tafel heute Nachmittag auf den neuesten Stand gebracht.«
Fanni warf einen kurzen Blick darauf und stellte fest, dass Frau Bogners Bild und das Kärtchen, auf dem ihr Name und ihre Profession vermerkt waren, einen Trauerflor trugen.
Michaela wandte sich zum Gehen. Hastig stellte sich Fanni ihr in den Weg, während sie rasch den verbliebenen Ohrring losmachte.
Sie legte ihn auf ihre Handfläche und hielt ihn Michaela hin. »Tausche passenden Ohrring gegen Perlmutt-Engel.«
Einen Moment lang wirkte Michaela schockiert. Doch dann lächelte sie. »Sie wollen Milchbarts Talisman haben? Er gehört jetzt mir.«
»Alexander braucht ihn«, erwiderte Fanni. »Das müssen Sie doch wissen, wenn Sie den Engel erkannt haben. Der Talisman ist eine seiner Krücken. Wo haben Sie ihn gefunden?«
Michaela musste nicht lange nachdenken. »Vor dem Eingang zum Büro des Professors.«
Fanni sog scharf die Luft ein und atmete das Wörtchen »Wann?« aus.
»Heute Morgen«, antwortete Michaela. »Gleich nach dem Frühstück. Seibold hatte mich gebeten, in der Buchhaltung vorbeizukommen, weil irgendein Formular zu unterschreiben war. Als ich den Stift nehmen wollte, ist er mir aus der Hand gefallen, auf dem Boden gelandet und davongerollt. Hinter dem Sockel mit der spiralförmigen Figur, die neben der Tür zu Hornschuhs Büro steht, ist er liegen geblieben. Ich habe mich danach gebückt, und siehe da, neben dem Stift lag der kleine Engel. Ich hole ihn, sobald ich kann.« Damit schnappte sie sich den Ohrring und rannte davon.
Fanni ließ sich in eines der nachgemachten Stilmöbel fallen. Alexanders Talisman hatte sich also auf der Schwelle zu Hornschuhs Büro gefunden.
Will besagen?
Könnte besagen, dachte Fanni, dass der Professor ihn aus Frau Bogners Büro mitgenommen hat.
Und warum hätte er das tun sollen?
Darauf wusste Fanni keine Antwort.
Du willst es nicht recht wahrhaben, stimmt’s? Aber es ist wirklich an der Zeit, Milchbarts Aussagen mit reichlich Argwohn zu begegnen.
Demnach hat Alexander also gelogen, dachte Fanni. Er ist nicht wegen des Engels in Frau Bogners Zimmer
Weitere Kostenlose Bücher