Milchbart (German Edition)
hatte, sprach für sich.
Hans Rot hatte durchzusetzen versucht, dass Fanni in seine Obhut entlassen wurde, doch die Entscheidung lag nun einmal bei ihr, und sie war standhaft geblieben.
Zu Hans Rot zurückzukehren hieße ja, Sprudel aufzugeben! Diesen sympathischen, liebenswürdigen, wohlmeinenden, umgänglichen, gutmütigen, höflichen, kultivierten, charmanten, sanftmütigen, attraktiven, einnehmenden, fluffigen …
Fluffig?
Es war ihr kein bisschen schwergefallen, standhaft zu bleiben, denn trotz –
Womöglich sogar wegen –
– der Bredouille, in die sie hier geraten war, war ihr die Parkklinik irgendwie ans Herz gewachsen: die Stilmöbel, wenn auch Imitationen und vermutlich mit ergaunertem Geld bezahlt; die hübschen Dekorationen; die geradezu gourmethaften Mahlzeiten –
– das Yoga, das Qigong, die Dehnungsübungen –
– der weitläufige Park mit dem tiefen Teich.
In dem Seibold dich ersäufen wollte!
Ja, dachte Fanni, er muss mich gestoßen haben. Vielleicht kam er zufällig vorbei, vielleicht hat er mir aufgelauert. Jedenfalls wollte er mich aus dem Weg haben, weil ich zu viele Fragen stellte. Zudem musste ihm klar gewesen sein, dass ich nicht aufgeben würde. Schließlich stand ich fälschlich unter Verdacht. Mein Tod aber hätte allen Ermittlungen ein Ende gemacht.
Gut zu wissen, dass dir jetzt keine Gefahr mehr droht!
Weshalb ich entschlossen bin, die restliche Zeit meines Aufenthalts hier zu genießen, teilte Fanni ihrer Gedankenstimme mit.
Für diesen Tag hatte sie allerdings sämtliche Termine gestrichen. Als Sprudel am Morgen anrief, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, hatte sie ihn spontan gebeten, den Vormittag mit ihr zu verbringen. Dass am Nachmittag Hans Rot erscheinen würde, war abzusehen.
Man hat halt seine Gewohnheiten!
Fanni und Sprudel hatten wieder den Weg nach Wimpassing eingeschlagen und bogen soeben zum alten Forsthaus ab.
Sie setzten sich auf den umgestürzten Baumstamm neben die Katze aus Drahtgeflecht, hielten ihre Gesichter in die Sonne und ließen sich von dem bisschen Wärme umhüllen, das sie zu dieser Jahreszeit spendete.
Nach einigen Minuten empfand Fanni eine leichte Unruhe, merkte aber dann, dass sie von Sprudel ausging.
Er räusperte sich, verlagerte das Gewicht, räusperte sich erneut.
»Fanni«, sagte er dann, und seine Stimme klang rau. »Leni wird das Anwesen in Birkenweiler kaum nutzen, zumindest in nächster Zeit nicht. Sie würde es dir sicherlich überlassen. Wir müssen ja nicht beide dort wohnen, wenn du …« Sprudel unterbrach sich, weil Tillman Bogner soeben aus der Haustür trat und auf sie zukam. Er trug eine gut sitzende Jeans und ein schickes Hemd.
Diesel-Jeans und Tommy-Hilfiger-Hemd! Darauf wird er künftig verzichten müssen, wenn der Professor in den Knast geht!
Es sei denn, teilte Fanni ihrer Gedankenstimme mit, seine Objekte finden genügend Absatz.
Ich würde es ihm wünschen, dachte sie, als Trostpflaster sozusagen. Wie immer er auch zu seiner Mutter stand, er hat sie verloren. Ermordet von Seibold, der ihm ein väterlicher Freund war. Und um alles noch viel schlimmer zu machen, wird man seinen Gönner und Partner unter eine hässliche Anklage stellen.
Tillman hatte eine Aktentasche dabei und hielt einen Schlüsselbund in der Hand. Er war offenbar auf dem Weg zu einem Termin. Die Haustür hatte er allerdings offen stehen lassen.
»Mir scheint, Sie haben vergessen, abzuschließen«, sagte Sprudel.
»Wozu sollte ich die Tür verriegeln?«, erwiderte Tillman. »Drinnen gibt es kaum mehr zu holen als hier draußen.« Er warf einen versonnenen Blick auf den als Lakai aufgeputzten Ast, der den Eingang bewachte. »Sollte tatsächlich jemand vorhaben, mich auszurauben, können ihn die paar morschen Haustürbretter sowieso nicht aufhalten.«
Fanni und Sprudel hatten sich vom Baumstamm erhoben und begleiteten Tillman über die Lichtung zum Feldweg nach Wimpassig, wo ein klappriger Fiat geparkt war.
»Auf dem Land«, sagte Tillman, »standen früher sämtliche Haustüren jahraus, jahrein offen. Das war nur deshalb möglich, weil sich die Menschen gegenseitig vertraut haben.«
»Haben die Leute damals nicht eher auf die Furcht ihrer Mitmenschen vor dem Strafgericht Gottes vertraut?«, entgegnete Fanni.
Tillman schmunzelte. »Mag sein. Man war ja tief gläubig, gottesfürchtig und dem Klerus hörig.«
»In manchen Familien ist bis heute eine bigotte Frömmelei und eine ebenso blinde wie ungesunde Ehrfurcht vor dem
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