Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Milchblume

Milchblume

Titel: Milchblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
Vom Netzwerk:
mit eisiger Verachtung besah sie verschiedene Stellen seines schwer verletzten Körpers. Ruhig beobachtete sie, wie Blut aus ihm pulsierte, weich und beständig. Laken, Decke und Polsterbezug färbten sich rot. Der Anblick verschaffte ihr einen angenehmen Schauer. Als die Bäuerin dessen gewahr wurde, erschrak sie, doch nur ein wenig. Sie schlug die Augen nieder, atmete lange ein. Und heftig wieder aus. Einen Moment noch hielt sie inne. Und erst dann begann sie damit, die Wunden ihres Mannes mit Arnika zu versorgen, erst dann versuchte sie, mit Wickeln das Blut zu stillen, was nicht recht gelang. Sachlich stellte sie es fest.
    Die Großeltern hatten sich, als ihr Sohn gefunden worden war, mit dumpfem Blick angesehen und waren dann ohne ein Wort und ohne Hilfe anzubieten im Haus verschwunden.
    Hans und Fritz schlugen die Herzen bis zum Hals. Die beiden rannten nach Leibeskräften, um Hilfe zu holen für ihren schwer verletzten Vater. Sie standen unter Schock, hatten noch keine Erklärung für das, was geschehen war. Später, als Ruhe und Zeit dafür gewesen wären, verbaten sie sich jede Überlegung. Sie wussten, Vater hätte das so gewünscht. Das selbst auferlegte Denk- und Redeverbot war freilich nicht von Nutzen, beflügelte vielmehr allerlei Phantasien. Die drohten, die Welt der Brüder zum Einstürzen zu bringen.
    Als der Seifritz-Bauer aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte, blinzelte er nur kurz und war dann so geistesgegenwärtig, die Augen geschlossen zu halten. Würde er die Lider auftun, müsste er sich den Fragen des Arztes stellen, dessen ruhige Stimme er vernommen hatte. Und noch viel schlimmer: sein Blick würde auf den seiner Frau treffen. Unerträgliche Schmerzen jagten durch die Nervenbahnen seines Körpers. Viel hätte der Bauer dafür gegeben, sie noch hundert Mal schlimmer zu verspüren, würde es ihm nur erlaubt sein, nie wieder die Augen zu öffnen, sie fortan verschließen zu dürfen vor dieser Welt. Auch seine Ohren sollten ertauben und sein Mund unbewegt bleiben für immer. Eingesperrt wünschte er sich, der Seifritz-Bauer, eingesperrt und von allen weg, in einer dunklen Höhle, tief drunten in feuchter Erde, verwesend und zerfallend, möglichst rasch, bitte, lieber Herrgott, damit dieses Leben endlich ein Ende hat.
    Von Anfang an, ging es dem Bauern durch den Kopf, hat es das Schicksal auf mich abgesehen gehabt. Der Vater hat mich beherrscht wie ein Teufel. Herumkommandiert hat er mich von früh bis spät, drangsaliert in einem fort. Geschlagen, tagaus, tagein. Was heißt geschlagen, gedroschen hat er mich, dass ich nicht mehr habe gehen können. So arg hat er auf mich eingedroschen, dass sich meine Eingeweide zu einem Knoten verdreht haben. Als ich meine allererste Liebschaft hatte, hat er mich bestraft dafür, mir jeden Kontakt verboten, mich gezüchtigt und gedemütigt, mich verprügelt für meine Gefühle. Abgelassen hat er erst, als ich vor ihm gekrochen bin und gemacht habe, was er von mir erwartet hat, nämlich vergelt’s Gott sagen dafür, dass er mir Zucht und Ordnung beibringt. Unrecht ist es, furchtbares Unrecht, wie weit ich es habe kommen lassen mit mir; dass ich zugelassen habe, dass es so arg durchgeht mit mir. Furchtbares Unrecht habe ich getan. Furchtbares. Aber das war es auch, was der Alte mit mir gemacht hat, mindestens ebenso. Er aber ist nicht bestraft worden dafür, wie ich, für seine vielen Sünden, er darf den klapprigen, armen Greis spielen, bekommt täglich seine warme Suppe, seinen Feigenkaffee mit Milch und Zucker, kriegt beim erstbesten Frost einen warmen Ziegel mit ins Bett, unter seine blütenweiße Tuchent. Ich aber, ich darf büßen für ihn, ich lieg da, erniedrigt wie es schlimmer nicht geht, wie ein dreckiges, grausliches Viech beim Verrecken lieg ich da. Nur ein bissel Liebe hätte ich gebraucht, nur ein bissel.
    »Er ist wieder bei Bewusstsein«, sagte der Arzt zur Bäuerin, »sehen Sie? Er weint.«
    Silvia war zum Teich gelaufen, um sich zu waschen, sich abzuwaschen, alles wegzuwaschen, nur schnell, schnell, schnell ganz, ganz, ganz reinzuwaschen. Bis zur Hüfte stand sie im Wasser, rieb und schrubbte ihren Körper energisch mit ihren Händen und abgerissenem Schilfgras. Doch das reichte nicht. Silvia tauchte unter, griff in den verschlammten Grund des Teiches, griff tief hinein in den feinerdigen, dunklen Schlamm, schöpfte ihn aus dem Wasser und rieb sich damit die oberste Schicht ihrer Haut vom Körper, so fest, dass sie blutete an manchen Stellen.

Weitere Kostenlose Bücher