Milchfieber
den Kopf: „Nein.“
Hella lief zum vierten Mal durch die Küchentür in den Stall und man merkte, dass sie die Anstrengung genoss. Es war ihr vollkommen egal, wie oft sie die Einstellung wiederholen musste, sie hätte, wenn nötig, den Kuchen auch auf dem Kopf balanciert.
„Den Landkreis!“, sagte Köhler plötzlich leise zu Allmers.
„Bitte?“, schüttelte Allmers den Kopf: „Ich verstehe nicht. Was hat der Landkreis damit zu tun?“
„Das soll ein Werbefilm für den Landkreis werden, jetzt ist es mir wieder eingefallen. Da sollen ein paar Leute aus dem Landkreis gezeigt werden.“
„Wofür die alles Geld haben!“, wunderte sich Allmers. „Meinen die, dass deshalb mehr Touristen kommen?“
Friedel zuckte mit den Schultern: „Keine Ahnung.“
Schweigend sahen Allmers und Köhler zu, wie Hella durch die Küche und den Stall gescheucht wurde, dauernd unterbrochen von den genervten Anweisungen des Regisseurs, den Nachbesserungen der Maskenbildnerin und den Einwendungen des Kameramanns. Das Team schien sich nie einig zu sein und so dauerte es lange, bis alle zufrieden waren.
„Kriegen wir einen Kaffee?“, fragte der Regisseur unvermittelt und Hella sprang in die Küche.
„Hoffentlich hauen die bald ab“, meinte Köhler, „nachher kommt noch der Tierarzt.“
„Sie haben mir ganz schön die Einstellung versaut“, meinte der Kameramann mit einer Tasse Kaffee in der Hand zu Allmers. Der verstand ihn kaum, weil der Mann mit vollem Mund sprach.
„Schmeckt der Kuchen?“, fragte Allmers.
„Göttlich! Die Frau kann wirklich backen.“
„Machen Sie immer so etwas?“, fragte Allmers, weil er das Gefühl hatte, der Kameramann hatte keine Lust, die Kaffeepause mit dem Regisseur zu verbringen.
„Nein, normalerweise mache ich Werbung“, antwortete er. „Also, Design und Kommunikation, keine Visitenkärtchen.“
„Ah ja“, sagte Allmers. Er hatte kein Wort verstanden. „Brauchen Sie noch lange?“
„Ich glaube, wir sind hier noch eine Weile. Martin arbeitet akribisch.“
„Martin?“, fragte Allmers.
„Der Regisseur.“
„Nachher wird Ihnen wahrscheinlich der Tierarzt die Einstellung versauen“, warf Friedel Köhler ein.
Der Kameramann sah interessiert zu Köhler: „Das ist ja spannend, was macht der denn bei Ihnen, ist ein Tier krank?“
Köhler schüttelte den Kopf: „Der kommt zu einer Besamung.“
„Macht der so etwas immer?“
„Nein“, meinte Allmers trocken. „Normalerweise macht er Diarrhöe und Obstipation. Keine Meerschweinchen.“
Hella hatte das Gespräch mitgehört und feixte den ganzen Abend mit Allmers über „das blöde Gesicht“ des Kameramannes, wie sie immer wieder sagte.
Allmers erinnerte sich daran, als er beunruhigt vom Krankenhaus nach Hause fuhr. Erst konnte er kaum einschlafen und schlief dann schlecht.
Um halb fünf Uhr am Morgen wurde er angerufen und ihm mitgeteilt, dass Hella Köhler um vier Uhr gestorben sei.
Kapitel 30
„Wenn es nach dir ginge“, sagte Werner Allmers boshaft, „würde jetzt eine einwöchige Staatstrauer ausgerufen werden. Wer backt dir jetzt deinen Kuchen?“
„Deine Scherze kannst du dir sparen“, entgegnete Allmers und obwohl er innerlich wütend war, konnte er kaum die Stimme heben. Nach der Todesnachricht war er sofort ins Krankenhaus gefahren und hatte versucht, Friedel zu trösten. Hella lag wie schlafend in ihrem Bett und Allmers hatte Angst, dass der übernächtigte Friedel Köhler seiner Frau bald folgen würde, so in sich zusammengesunken saß er auf seinem Stuhl.
Später, als er die Kühe von Köhlers gemolken hatte, setzte er sich in Hellas Küche, kochte sich Kaffee und entdeckte im Schrank noch ein paar Kuchenreste. Er aß sie mit großem Ernst, er empfand sie wie ein Abschiedsgeschenk. Irgendwann liefen ihm die Tränen und er begann zu realisieren, welchen Verlust er erlitten hatte. Bis zum Mittag saß er am Küchentisch, grübelte über ihr bewegtes Leben, dessen vielfältige Facetten er vor zwei Jahren erst richtig kennen gelernt hatte. Als junge Frau, das wusste er von Bildern, war sie eine begehrte Schönheit gewesen, er selbst kannte sie nur in abgetragenen Kleidern unter einer Kittelschürze. Über die verbliebene Schönheit in ihrem Gesicht hatte er sich nie Gedanken gemacht, zu selbstverständlich war sein Umgang mit ihr gewesen.
Wiebke konnte er nicht erreichen, er wusste auch nicht, ob sie ihm Trost spenden könnte. Sie hatten sich seit ihrem intensiven Nachmittag an der Elbe kaum
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