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Milchgeld: Kluftingers erster Fall

Milchgeld: Kluftingers erster Fall

Titel: Milchgeld: Kluftingers erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kobr , Volker Klüpfel
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nicht, was er mit den anderen redete, aber offensichtlich bereiteten sie den Aufbruch vor. Der Hüne übergab Botzenhard den Wagenschlüssel, worauf sich der von den anderen verabschiedete. Zusammen trugen sie noch die leeren Säcke nach draußen.
    Kluftinger hörte, wie sich ein Auto mit quietschenden Reifen vom Bauernhof entfernte. Von seinem Standpunkt war nicht zu erkennen, wohin es fuhr. Dann hörte er den Anlasser des Tankwagens. Jetzt musste er aufpassen. Er wollte unbedingt dem Wagen folgen, allerdings musste er erst noch sein Auto erreichen. Und es war inzwischen gefährlich hell geworden. Er pirschte sich wieder an die Fenster heran und sah, wie der Tankwagen auf dem Hof wendete. Als er abfuhr, rann ihm ein Schauer über den Rücken: im Führerhaus saßen nur zwei Personen. Der dritte, der Hüne, fehlte.
    Kluftinger ließ sich sofort in die Knie sacken. Er verfluchte seine eigene Dummheit. Warum hatte er nur sein Handy und sein Waffe im Auto liegen lassen? Aber Lamentieren half ihm nun nicht weiter. Er musste hinter dem Lastwagen her und zwar so schnell wie möglich. Kluftinger nahm sich vor, zu rennen. Blitzartig sprang er auf und lief. Er lief wie noch nie zuvor in seinem Leben. Er sah sich nicht einmal um. Egal, was hinter ihm geschah, wenn er nur sein Auto erreichen würde, war er in Sicherheit. Der Tankwagen war inzwischen hinter einer Kuppe verschwunden. Kluftinger hatte noch gut hundert Meter bis zu seinem Auto zurückzulegen. War da ein Geräusch hinter ihm? Er vermochte es nicht zu sagen. Der Luftzug, den er erzeugte und sein Herzklopfen, das er deutlich zu hören meinte, trübten sein Wahrnehmungsvermögen. Endlich sah er die Bäume, hinter denen er sein Auto abgestellt hatte. Vielleicht noch 20 Meter. Die kühle Morgenluft trieb Kluftinger die Tränen in die Augen. Er spürte förmlich den Atem des Hünen hinter sich, spürte, wie sich dessen Pranke nach ihm ausstreckte, ihn zu greifen versuchte. Dann hatte er sein Auto erreicht. Er stolperte auf die Fahrertür zu, riss die Pistole an sich, wirbelte herum.
    Die Waffe im Anschlag schrie er mit sich überschlagender Stimme »Halt!«. Doch es war niemand da.
    Ein, zwei Sekunden vergingen, dann entspannte sich Kluftingers Körper. Er wischte sich mit der linken Hand über das schweißnasse Gesicht. Und langsam, ganz langsam, ließ er auch die Waffe sinken. Erst jetzt merkte er, wie sehr ihn dieser Geländelauf erschöpft hatte. Er spürte, wie sein Herz pumpte, sein Atem pfiff, seine Hände zitterten. Ob dieses Zittern von der Angst herrührte, die ihn gerade übermannt hatte, oder vom Laufen, wusste er nicht. Vielleicht wollte er es gar nicht wissen.
    Mit zunehmender Beruhigung kehrte auch sein analytischer Verstand zurück, der ihn eben so schmählich im Stich gelassen hatte. Der Tankwagen! Mein Gott, er musste sich beeilen, sonst würde er ihm durch die Lappen gehen. Und diese Schlappe würde er im Präsidium nur schwer erklären können. Er sprang ins Auto und fuhr los.
    Je länger er fuhr, desto sicherer fühlte er sich. Er war froh, dass er mit seinem eigenen Auto unterwegs war. Er fuhr schnell, viel schneller als diese kurvige Strecke eigentlich zuließ. Und endlich sah er den Tankwagen, der sich gerade einen steilen Berg hinaufschleppte. Kluftinger ging vom Gas. Sein Passat und der Lkw waren die einzigen Autos, die zu dieser Stunde, es war kurz vor sechs, unterwegs waren. Er wollte auf keinen Fall gesehen werden. Er zog aus seiner Hosentasche ein Taschentuch und trocknete sich damit das Gesicht. Dann ließ er die Scheibe herunter.
    Mein Gott, ist es schön heute, fuhr es ihm durch den Kopf. Die Erkenntnis kam so plötzlich, dass es ihn selbst überraschte. Es verschlug Kluftinger manchmal fast den Atem, so sehr liebte er diese Landschaft. Besonders um diese Tageszeit, wenn eine eigentümliche Schwermut über den Wiesen, den Hügeln und den Wäldern lag. Wenn der Bodennebel alles in ein milchiges, fahles Licht tauchte. Es war dann nicht das Klischee-Allgäu, nicht das Allgäu, das die unzähligen Touristen, die hier jedes Jahr herkamen, sehen wollten. Es gab keinen Almabtrieb und keine Alphörner, keine Blasmusik, kein Alpenglühen. Jetzt war es sein Allgäu. Die satten Farben des Tages verbargen sich noch in einem kühlen morgendlichen Grau. Frisch gemähtes Gras verströmte einen vertrauten Duft. Manche ließ diese Stimmung vielleicht kalt, Kluftinger zauberte sie ein Lächeln auf die Lippen. Für einen kurzen Moment war er glücklich.

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