Milchmond (German Edition)
Krankheit ihres Mannes erzählt. Das wusste er ganz genau.
Jörg hatte allerdings durch Julias Brief, den sie ihm aus Travemünde geschrieben hatte und wahrscheinlich auch durch ihre Gespräche mit ihm, Kenntnis von ihm, Tobias. Also lag der Schlüssel bei diesem Jörg. Er musste die Initiative ergriffen und recherchiert haben. Nur, was machte das für einen Sinn?
Er versuchte sich zu erinnern, unter welchen Umständen Sylvia wieder in seinem Leben aufgetaucht war. Verabschieden wollte sie sich von ihm, hatte sie vorgegeben. Hatte Harry nicht zu ihrer beruflichen Situation herausgefunden, sie gelte als Nachfolgerin für ihren Chef? Da stimmte etwas nicht an Sylvias Geschichte! Sie hatte sich also unter einem Vorwand an ihn herangemacht. Dann hatten sich die Ereignisse überschlagen, und Julia war ihm entglitten, abgereist nach Föhr, hatte ihn gebeten, sie in Ruhe zu lassen. Wie günstig für Sylvia! Langsam schälte sich vor seinem geistigen Auge ein Bild heraus, zwar noch verschwommen, aber die Puzzleteile begannen langsam, sich Stück für Stück zusammenfügen zu lassen...
Unter diesem Aspekt begann auch Jörgs plötzliche Krankheit in einem anderen Licht zu erscheinen. Konnte es etwa sein...? Nein, ausgeschlossen! Er wischte den Gedanken beiseite, so niederträchtig konnte kein Mensch sein! Julia hatte mit einer Ärztin aus der Uniklinik gesprochen. Gab es da vielleicht einen Ansatzpunkt? Er dachte darüber nach, und langsam begann sein Plan Gestalt anzunehmen.
Am nächsten Morgen, als Tobias noch beim Frühstück saß, rief ihn Harry an. »Zernowsky hier. Guten Morgen. Ich habe diesen Jörg Rosshaupt überprüft: Beliebter Musiklehrer und Leiter der Bigband am Harvesterhuder Gymnasium. Gilt als musikalischer Überflieger. Ist seit Ende der Sommerferien krankgeschrieben. Die Arbeits-unfähigkeitsbescheinigungen sind von einem Dr. Stein-Gorecki aus der Uniklinik unterschrieben. Diagnose: Innenmeniskus linkes Knie, OP ambulant durchgeführt in der Uniklinik am 23.08. Hilft Ihnen das weiter?«
Tobias hielt nichts mehr auf seinem Stuhl und sprang auf. »Ob mir das weiter hilft? Das ist es! Jetzt wird mir alles klar! Dieser Scheißkerl hat aus seiner harmlosen Kniegeschichte seiner Frau gegenüber eine Gehirntumor-Sterbensgeschichte gemacht, um sie an sich zu binden. Ich fasse es nicht! Den kauf ich mir! Soviel Niedertracht gibt es doch gar nicht!« Beim Umhergestikulieren stieß Tobias seine Tasse um. Sie landete mit einem Knall auf dem Fußboden zersprang und hinterließ eine hässliche, schwarze Pfütze. Der Fleck sah aus wie ein Teufels-Mal direkt aus der Hölle. Tobias konnte sich nicht wieder beruhigen. Was macht der mit Julia? »Ich kann gar nicht soviel essen, wie ich kotzen könnte! Zernowsky, Sie sind ein Teufelskerl und jeden Cent wert, aber das wissen Sie ja. Der Fall ist für Sie erledigt. Schreiben Sie mir Ihre Rechnung. Irgendwie ist an diesen schlechten Nachrichten auch viel Gutes für mich dran. Ich sehe jetzt jedenfalls klar, das hätte ich ohne Sie nicht herausgefunden. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen und wünsche noch einen guten Tag!«
Tobias setzte sich wieder, nachdenklich die hässliche Pfütze, samt der Fußstapfen betrachtend, die er hinter-lassen hatte, weil er beim aufgeregten Sprechen auch noch hindurchmarschiert war. Aus dem Fleck schien langsam ein Gemälde zu werden. Er spürte eine Wut in sich auflodern, die immer größer wurde. Jörg hatte seine harmlose Krankengeschichte in eine Tragödie umgeschrieben. Welchen Anteil hatte jetzt noch Sylvia an dem ganzen Spiel? Ein Puzzleteilchen fehlte ihm noch - noch...
Er würde nachher in die Uniklinik fahren und diese Ärztin aufsuchen. Wieso konnte sie Julia gegenüber etwas von einem Gehirntumor erzählen? Er stockte. Das konnte ja gar keine Ärztin aus der Klinik gesagt haben, wenn dieser Jörg sich dort lediglich einer Meniskus-OP unterzogen hatte. Tobias sah sich noch einmal die Verbindungsliste an. Warum fiel sein Blick immer auf diese beiden Einträge?
Donnerstag, 20.09.; 12:08 - 12:12 0.04
JULIA ROSSHAUPT ankommende Verbindung
Donnerstag, 20.09.; 12:15 - 12:18 0.03
JÖRG ROSSHAUPT abgehende Verbindung
Das musste das fehlende Puzzleteil sein! Er konnte jetzt nur mutmaßen, aber konnte es sein, dass Sylvia sich als Doktor ausgegeben hatte? Hatte Julia geglaubt, mit
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