Milchmond (German Edition)
erschrocken zusammen - der entsetzliche Ton traf ihn eiskalt bis ins Mark. Sie glaubte ihm nicht. »Sag mir nur noch eins, Tobias Steinhöfel: Stimmt das mit eurer Verlobung? JA ODER NEIN?«
»Äääh, nicht so wie du denkst, nicht wirklich, aber das muss ich dir erklären - ich bin reingelegt worden!«
»Hör zu!«, schrie sie ihn jetzt, bar jeder Fassung, an. »Lass mich ein für alle Mal in Ruhe, hörst du! Und damit du es weißt, ich bin gar nicht mehr auf der Insel. Lass dich dort in sauer einkochen, du Mistkerl!«
Es knackte, dann war die Leitung still, totenstill.
Das war's also; Murphys Gesetzt hatte wieder einmal voll zugeschlagen: Was schief gehen kann, wird schief gehen. Mit einem Mal fiel alle Kraft, alle angestaute Spannung von Tobias ab und machte einer verzweifelten Leere Platz. Er ließ den pinkfarbenen Hörer langsam sinken, hing ihn schließlich resigniert ein. Na schön, wenn er nun schon einmal hier auf dieser verdammten Insel war, dann sicher nicht umsonst - jetzt war Jörg Rosshaupt dran! Tobias fühlte sich in der richtigen Stimmung dazu und fuhr zurück - dorthin, wo er das Taxi zuletzt hatte stehen sehen.
Durch das Flurfenster konnte Tobias Licht sehen. Er klingelte. Es dauerte eine ganze Weile, bis Jörg die schwere Haustür aufschloss und ihn fragend ansah: »Was wollen Sie? Habe ich Sie nicht schon einmal gesehen?«
»Ich bin Tobias Steinhöfel!« Er erwartete eine Reaktion, aber der Name schien dem Kerl nichts zu sagen.
»Ja, und weiter?«
»Ich bin der Grund, warum Julia sich von Ihnen trennen wird!«
»Oh!« Erst wurden die Augen seines Gegenübers riesengroß, dann verengten sie sich zu schmalen Schlitzen. »Ach, tatsächlich? Was wollen Sie hier - mich bedrohen?«
»Nein, mit Ihnen reden!«
»Wüsste nicht, was wir beide zu bereden hätten. Wenn Sie nicht auf der Stelle verschwinden, rufe ich die Polizei!«
»Anders herum, Herr Rosshaupt, wenn Sie mich nicht augenblicklich hinein lassen und mit mir reden, werde ich die Polizei rufen! Ich sage nur ein Stichwort: Meniskusoperation! Verstehen wir uns?« Alle Farbe wich schlagartig aus Jörgs abweisendem Gesicht und ächzend keuchte er: »Na schön, dann kommen Sie schon rein!« Tobias wandte sich nach links in den Wohnungsflur und hörte, wie Jörg hinter ihm die Haustür wieder abschloss. »Gehen Sie voran ins Wohnzimmer!«
Tobias ging in den vor ihm liegenden Raum, wo im Fernsehen gerade die Tagesschau lief. Sich an seiner Krücke abstützend, humpelte Jörg schwerfällig hinterdrein, schaltete das Gerät aus und setzte sich, die Gehhilfe wie eine Waffe fest umklammernd. Seine Angst war ihm anzusehen. »Bitte!« Er wies auf den gegenüberliegenden Sessel. Tobias setzte sich. Welch eine Situation!, fuhr es ihm durch den Kopf. Er hatte sich diesen Mistkerl anders vorgestellt, irgendwie energischer und selbstbewusster. Wer mit soviel krimineller Energie agierte, konnte nicht ein solcher Waschlappen sein wie diese verunsicherte, humpelnde Figur da vor ihm. Keiner von ihnen sagte etwas. Tobias versuchte, die Augen seines Gegenübers zu fixieren, diese wichen ihm jedoch panisch aus. Minuten rannen dahin. Tobias registrierte, wie sich die Situation, die anfangs hochenergetisch angereichert schien, entspannte. Als Jörg noch immer keine Anstalten zum Reden machte, ging Tobias in die Offensive. »Was haben Sie sich nur dabei gedacht, ein solch mieses Spiel mit Ihrer Frau zu spielen? Reden Sie endlich, Mann!«
»Äh, ich weiß nicht, was Sie von mir hören wollen?«
»Ich will das ganze perverse Spiel verstehen, das Sie zusammen mit Sylvia ausgeheckt haben. Alles!«
»Sie kennen Sylvia?«
Tobias konnte nicht anders, als resigniert lachen.
»Mann, hören Sie auf mit Ihrer albernen Schauspielerei! Sie wissen ganz genau, dass Sylvia Sommer meine langjährige Freundin war, mit der ich vor Monaten Schluss gemacht habe.«
Wieder zeigte sich Verstörtheit im Gesicht seines Gegenübers. Er fuhr sich mit beiden Händen, nicht verstehend, über die Augen.
»Ihre Freundin?«, nuschelte er nun undeutlich. »Jetzt wird mir einiges klar, ich Riesen-Rhinozeros!«
»Darf ich Sie bitten, sich deutlicher auszudrücken?«
»Ich habe das nicht gewusst, dass Sylvia ihre Ex-Freundin ist, ehrlich!«
»Ich finde, es wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, Ihr Gewissen zu erleichtern und mir die ganze Geschichte zu offenbaren. Ich bin nämlich Anwalt
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