Milchmond (German Edition)
und überlege mir, was ich mit Ihnen machen soll. Dass Sie sich mehrfach strafbar gemacht haben, muss ich Ihnen ja wohl sicher nicht erklären, oder? Also reden Sie, damit ich die ganze Sache durchblicke und endlich weiß, was da gelaufen ist.«
»Es hat ja doch alles keinen Sinn mehr, ich, ich...«, die Worte kamen nun stammelnd, hinter den vors Gesicht geschlagenen Händen, hervor - undeutlich, abgehackt. Der Mann war mit den Nerven am Ende. Geschah ihm recht.
»Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll?«
»Wie wäre es, mit dem Erhalt des Briefes zu beginnen, den Julia Ihnen aus Travemünde geschickt hat?«
»Ja, dieser vermaledeite Brief, in dem sie mir schrieb, dass sie der Liebe Ihres Lebens begegnet sei. Das werden dann wohl Sie sein?«
»Ganz recht!«
»Das war Anfang August. Ich dachte noch, die spinnt, das gibt sich wieder. Ein paar Tage später lernte ich dann Sylvia zufällig in einer Kneipe kennen. Sie war ziemlich fertig und reichlich angeschickert. An jenem Abend hatte sie ihren dreißigsten Geburtstag bis dahin ganz allein verbracht und war in eine Krise geraten. Naja, sie war zu blau, um an dem Abend geistreiche Gespräche zu führen. Mir ging es ja auch nicht gerade gut, deshalb haben wir uns gemeinsam einen hinter die Binde gekippt. Am nächsten Tag haben wir uns dann zum Kaffee verabredet. Ich fand sie ganz nett, mehr aber nicht. Ich muss dann wohl weiter über mein Elend geklagt haben, dass mir meine Frau abgehauen ist und so. Ich weiß, ist nicht gerade das Thema, über das man sich mit fremden Frauen beim ersten Kaffeetrinken unterhält. Aber dann, da wurde sie auf einmal ganz aufmerksam... ja, ich erinnere mich wieder genau: Sie war plötzlich wie verwandelt, als ich ihr erzählte, dass meine Frau in Travemünde einen Anwalt kennen gelernt hat, der in der dortigen Marina, bei der Priwall-Fähre, ein Segelboot liegen hat.« Er schlug sich nun mit Hand auf die Stirn. »Jetzt durchblicke ich das ja erst. Dieses Luder! Verzeihen Sie!«
»Nein, sie haben ganz Recht, sie ist ein Luder! Nehmen Sie keine Rücksicht auf mich. Fahren Sie fort!«
»Tja, sie war es dann, die mich überhaupt auf die Idee brachte, meiner Frau weiszumachen, dass ich schwer-krank bin – sterbenskrank, sozusagen. Ob ich nicht mit irgendeinem Leiden ins Krankenhaus gehen könne?, fragte sie mich. Ich erinnerte mich an meine alte Sportverletzung, die mir immer öfter zu schaffen machte und erzählte ihr davon. So kam ich auf die Idee, mich am Knie operieren zu lassen. Sylvia winkte erst ab, das sei zu banal!, aber dann kam sie mir mit dieser blöden Schnapsidee: Sie überredete mich, aus der Meniskus-OP eine Sache mit Gehirntumor und Rollstuhl zu machen. Ich ließ die OP ambulant in der Uni-Klinik vornehmen und konnte mich danach mit Krücken bewegen. Für unseren Plan besorgte ich mir einen Rolli, legte mir eine Glatze zu, klebte Pflaster auf die Kopfhaut und täuschte Julia vor, dass ich einen Hirntumor habe, der operativ nicht vollständig zu entfernen sei. So habe ich ihr das ganze Theater vorgespielt. Jetzt begreife ich aber erst, dass ich von Sylvia benutzt wurde, um Julia von Ihnen fernzuhalten. Sie verfolgte dabei nur ihre eigenen Interessen, die sie mir gegenüber natürlich verschwieg. Sie hat mir nur erzählt, dass sie kürzlich einen alten Freund getroffen und sich mit diesem verlobt hat. Ehrlich, ich wusste nicht, dass Sie mit Sylvia liiert waren und jetzt wieder sind.«
»Geschenkt. Ich glaube Ihnen. Das passt alles zusammen. Aber, Menschenskind, warum haben Sie sich auf solch einen Wahnsinn eingelassen? Sie konnten doch nicht ernsthaft erwarten, dass Julia aus Mitleid bei Ihnen bleibt.«
»Nein, nicht aus Mitleid. Glauben Sie vielleicht, wir hätten uns nicht geliebt? Wir sind seit über fünf Jahren verheiratet. Sie haben ihr den Kopf verdreht! Ich kenne das doch von meinen Oberstufenschülerinnen; erst sind sie himmelhoch jauchzend verliebt, der ganze Himmel hängt voller Geigen und dann, eh man sich's versieht, ist alles wieder vorbei. Hormonrausch, sozusagen!«
»Machen Sie es sich nicht ein bisschen zu einfach, Mann? Julia ist keine Schülerin, sondern eine erwachsene Frau.«
»Die Hormone sind die gleichen, das können Sie mir glauben. Ich erlebe das an meinem Gymnasium täglich.«
»Wie wollten Sie eigentlich aus der Nummer wieder herauskommen? Erst angeblich nur noch wenige Wochen zu leben, dann geht es plötzlich unerwartet
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