Milchmond (German Edition)
- das könnte für sie sonst zu knapp werden.« Als er Julia ins Gesicht sah, merkte er, dass etwas nicht stimmte.
»Hast du etwas?«
»Jörg, ich habe dir doch gesagt, dass wir zu Mama und Papa fahren. Sie erwarten uns! Warum kannst du dir so etwas nicht merken? Jetzt kommst du mir mit dieser Pauline. Wir haben Ferien, falls dir das entgangen sein sollte.«
»Mist, jetzt wo du es sagst, kann ich mich an die Einladung erinnern. Das war mir völlig entfallen, entschuldige bitte. Na gut, dann komm ich eben nach, wenn wir hier fertig sind. So schlimm wird es wohl nicht sein, oder? Ich verspreche, dass ich gegen Abend zum Essen da sein werde. Großes Indianer-Ehrenwort!«
»Deine Zeitangaben kenne ich. Wenn du nicht nachkommst und zwar rechtzeitig, zum Essen, dann kannst du etwas erleben, das verspreche ich dir!«
Sie war sauer, warum musste sie eigentlich immer auf ihn Rücksicht nehmen? Er kam mit seinem Chaotentum immer wieder durch, und sie konnte sehen, wie sie das ihren Eltern erklärt bekam.
Andererseits lohnte es nicht, sich aufzuregen. Eigentlich war sie das mittlerweile von ihm gewohnt. Er meinte immer nur, sein freundliches Dackelgesicht mit dem Jungengrinsen aufsetzen zu müssen und sie, Julia, würde es schon richten. Wie sie das manchmal hasste!
Und jetzt war so ein Moment. Je mehr sie darüber nachdachte, desto wütender wurde sie. Was war bloß los mit ihr? Sie bemerkte selbst, dass sie gerade überreagierte. Sie musste hier raus! Sollte er doch nachkommen, wann er wollte und falls er nicht käme, wäre es eben sein Problem und nicht ihres, basta!
Als sie in Blankenese ohne Jörg erschien, reagierten ihre Eltern enttäuscht. Da Julia keine Lust hatte, für ihren Mann zum wiederholten Male die Kastanien aus dem Feuer zu holen, erklärte sie nur, dass Jörg noch eine Schülerin für das Bigbandkonzert instruieren müsse und dass er nachkommen wolle, sobald er mit der Probe fertig sei.
»Ich denke, es sind Ferien?« Ihr Vater machte ein erstauntes Gesicht. »Und ich dachte immer, die wären unseren Pädagogen heilig!«
»Bei Jörg ist das anders! Bei ihm kreist alles um Musik, Musik und noch einmal Musik. Würde mich überhaupt nicht wundern, wenn er es eines Tages vergessen würde, dass die Ferien angefangen haben. Ich stelle ihn mir dann vor, wie er so allein in der großen Schule steht und sich wundert, wo alle anderen abgeblieben sind.«
Sie lachten. Mama räumte das für Jörg gedachte Gedeck wieder vom Terrassentisch ab, dann gab es erst einmal Kaffee und Kuchen. Im Hintergrund hörte Julia wieder die vertrauten Geräusche ihrer Jugend: Die Schiffssirenen von der Elbe und das Stundenläuten der Kirchenglocken. Blankenese strahlte Ruhe und Beschaulichkeit aus. Sie bemerkte, wie sie sich entspannte und allmählich zur Ruhe kam. »Papa, ich habe auch noch ein Attentat auf dich vor. Kann ich nach dem Kaffeetrinken einmal in Ruhe mit euch reden. Es passt insofern ganz gut, dass Jörg noch nicht hier ist.«
»Nanu, Kind? Habt ihr euch gestritten, oder wo drückt der Schuh?« Mama schaute beunruhigt.
»Nein, nein, wir haben nicht gestritten. Ich muss eben damit leben, dass sich immer alles um Jörgs Arbeit dreht. Ich beneide ihn ja auch ein wenig darum, dass er seine Arbeit so liebt. Es geht darum, dass ich mich seit einiger Zeit mit dem Gedanken trage, eine eigene Kanzlei zu eröffnen. Darüber wollte ich mit euch sprechen.«
»Ach so...«, beruhigt ließ Mama den angespannten Gesichtausdruck fallen und lehnte sich zurück.
»Das könnt ihr beiden Juristen nachher unter euch ausdiskutieren, davon verstehe ich nichts.«
»Aber Mama, das geht dich doch auch etwas an?«
»Kind, Juristerei und Existenzgründung sind nun wirklich nicht die Themen, zu denen ich auch nur ein sinnvolles Wort beitragen könnte. Nicht, Günter? Da bist du doch bei deinem Lieblingsthema, oder?« Ihre Mutter schaute amüsiert zu ihrem Mann hinüber. Der räusperte sich und tupfte sich mit der Serviette den Mund.
»Natürlich Kind, wir sprechen nachher in Ruhe darüber. Vielleicht bei einem kleinen Elbe-Spaziergang?«
Julia nickte, sie war lange nicht mehr dort spazieren gegangen.
»Gute Idee, das machen wir.«
Sie gingen untergehakt den Strandweg an der Elbe entlang. Es wehte eine leichte Brise.
»Na Julia, nur heraus mit der Sprache, was ist dein Anliegen?« Ihr Vater packte den Stier gleich bei den
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