Milchmond (German Edition)
Zuge gekommen war. Egal, sein Problem!, dachte sie und begann, sich die Haare zu föhnen.
Nach einem kurzen, späten Frühstück verschwand Jörg mit der Bemerkung, dass er noch zu einem Termin mit einem Veranstalter müsse, dessen Saal er sich ansehen wolle.
Als sie danach allein am Frühstückstisch saß, erwischte sie sich zum zweiten Mal an diesem Tag, dass sie an diesen Tobias dachte. Sie nahm die Kasperlepuppe zur Hand und strich gedankenverloren mit den Fingern über die Figur. Im Selbstgespräch versunken, formulierten ihre Lippen:
»Kasper, Kasper, was soll das alles bedeuten, warum tauchst du in meinem Leben auf?« Dann entschloss sie sich, eine SMS an die angegebene Handynummer zu senden.
Sie fischte den zerknitterten Zettel aus dem Müll und begann, sich eine Antwort zu überlegen.
Kapitel 12
Sie suchte in der Menüeinstellung ihres Handys nach der Position, mit der man die Übertragung der eigenen Nummer unterdrücken konnte, bestätigte und wählte dann die Nummer, die auf dem zerknitterten Zettel stand. Nach dem fünften Freizeichen klickte es, und er nahm ab.
»Hallo?«
»...........«
»Hallo? Ist da wer?«
»...........«
»Da ist doch jemand, sprechen Sie doch!«
»…Ähem, hier ist … Hexe!«
»Oh!«
»Ja, oh! Damit hast du wohl nicht gerechnet, du geheimnisvoller
Puppenspieler, was?«
»Äh, nein, nicht wirklich.«
»Ich hab Kasper in meiner Gewalt.«
»Aha! Hat er dir meine Botschaft ausgerichtet?«
»Jaaaa, hat er.«
»Und, willst du mir helfen?«
»Nein!«
»Nein?«
»Nein!«
»Was willst du dann?«
»Deinen Kopf...!«
»Wie, meinen Kopf?«
»Ich will dich leiden sehen, deine Leiden sollen größer
werden und immer größer - mächtiger als du dir je
vorstellen kannst, denn ich bin eine bööööse Hexe!«
»Gnade Hexe! Bitte nicht. Hilf mir und steh mir bei!«
»Ja, jetzt winselst du um Gnade. Warum sollte ich dir
helfen? Warum sollte ich das, nun?«
»Vielleicht..., weil dich dein eigener Zauber auch getroffen hat?«
»Das ist lächerlich.«
»Hör zu, Hexe! Wir müssen reden...«
»Tun wir doch...«
»Ja, aber ich meine nicht am Telefon, sondern von
Angesicht zu Angesicht.«
»Das wird nichts werden.«
»Wenn du nur wolltest, schon.«
»Nein, das geht nicht!«
»Warum nicht?«
»Ich bin nicht frei in meinem Walten, wenn Ihr versteht?«
»Äh, ja, ich glaube, ich verstehe... «
»Und nun?«
»Und nun, tja... vielleicht hast du ja trotzdem den Mut,
dich mit mir zu treffen?«
»Mut? Das ist keine Frage meines Mutes, sondern meines Wollens.«
»Dann sei willens!«
»Warum sollte ich?«
»Vielleicht... weil du dich in meiner Gegenwart besser fühlen würdest als jetzt?«
»Ich weiß nicht... geht es mir denn jetzt nicht gut?«
»Hexen sind neugierig, finde heraus, ob es dir noch
besser gehen könnte...«
So ging das Spielchen noch über eine Viertelstunde weiter und Julia konnte sich danach nicht erinnern, schon jemals ein solch seltsames Telefonat geführt zu haben. Sie lächelte versonnen in sich hinein. Sie hatten das märchenhafte Rollenspiel das ganze Gespräch über aufrechterhalten, und es hatte ihr Spaß gemacht!
Er taktierte gewandt und geschickt, die Wortspielereien und Andeutungen ihrerseits hatte er sofort richtig zu deuten gewusst. Er war kein Dummer, soviel stand schon mal fest. So, und nun? Wie würde es weitergehen?, fragte sie sich.
Hatte sie anfangs noch mit verstellter Stimme gesprochen, so war sie im Laufe des Gesprächs nach und nach in ihre normale Stimmlage gefallen. Trotzdem wusste dieser Tobias jetzt nicht viel mehr von ihr als zuvor, aber doch, dass sie gebunden war. Sie hatte sonst nichts von sich preisgegeben - sich auch nicht mit ihm verabredet.
Seine warme und volle Stimme klang in ihr nach wie der sanfte Ton eines Cellos, der sich, von der Saite gelöst, aufschwang, den Himmel zu streicheln. Er hatte mit einer melodiösen, nicht zu tiefen Stimme gesprochen. Aus ihr hatte Geist, Charme und Humor heraus geklungen. Sie hatte schließlich das Gespräch mit dem Satz beendet: »So, Puppenspieler, nun muss ich auflegen. Leb wohl und vergiss den Kasper nicht.«
Und theatralisch hatte er ausgerufen: »Den Kasper nicht und die Hexe nimmer! Möge uns das Schicksal gnädig sein und unsere Wege
Weitere Kostenlose Bücher