Milchmond (German Edition)

sich wieder kreuzen lassen!«    
   Wollte sie überhaupt, dass sie sich wieder begegnen? Auch das lag nun in ihrer Hand, genau wie die Frage nach dem Kinder-Bekommen-Wollen oder nicht. Anscheinend lag alles nur in ihrer Hand und schien so leicht zu sein: Man muss nur einfach Entscheidungen fällen, und schon ist alles geklärt. Was, wenn man sich aber nicht sicher war, wie zu entscheiden sei?

Sie stellte den Kasper zurück, räumte den Tisch ab und beschloss, sich ein wenig um die Beete in ihrem Garten zu kümmern, um auf andere Gedanken zu kommen.
   Nach nur einer halben Stunde brach sie das Vorhaben ab, denn es taugte nicht, um sie erfolgreich abzulenken. Jörg war noch nicht wieder zurück. Dieser Sonntag war eigentlich viel zu schön, um ihn sich mit Haus- oder Gartenarbeit zu verderben. Wenn sie bei schönem Sommerwetter in der Kanzlei arbeitete, träumte sie sich manchen Tag einfach an den Strand. Nun hatte sie in den Sommerferien ihres Mannes ein paar Tage frei genommen und, was hatte sie davon? Nichts!
   Ihre innere Unruhe wuchs. Herrgottnochmal, so konnte es nicht weitergehen! Sie musste endlich die Fäden ihres Lebens wieder in die Hand nehmen, andere würden es nicht für sie tun. Sie rief Jörg auf seinem Handy an, um nachzufragen, wie lange er noch bei diesem Veranstalter bleiben müsse. Er ging nicht ans Telefon. Daraufhin schickte sie ihm eine SMS: Hab dich nicht erreichen können. Lass dir Zeit, ich bin allein zum Baden nach Travemünde gefahren. Julia
   Und genau das würde sie jetzt auch machen.
Als sie anderthalb Stunden später am Strand lag, ging es ihr bedeutend besser. Ja, so musste ein Urlaubstag aussehen. Einen Strandkorb hatte sie nicht mehr bekommen, dazu war es zu spät. Der Vermieter tröstete sie mit den Worten, dass er ihr sofort Bescheid geben würde, wenn ein Korb frei würde. Nun lag sie auf ihrer Decke und überlegte, ob sie zuerst baden oder sich sonnen sollte. Schwere Entscheidung. Die Luft war hier an der See deutlich kühler als in Hamburg. Nein, sie würde sich zunächst sonnen. Nachdem sie sich eingecremt und bäuchlings auf ihr Strandtuch gelegt hatte, beobachtete sie das bunte Treiben.
   Mit dem Kinn auf ihre Hand gestützt lag sie da und freute sich, dass sie sich aufgerafft hatte, herzukommen. Die Sonne begann ihren Körper aufzuheizen, ihre innere Anspannung fiel allmählich von ihr ab, sie ließ diesen Tag noch einmal in Gedanken Revue passieren.
   Sie konnte ihr Leben nicht immer nur nach Jörg ausrichten, kam ja gar nicht in Frage. Er hatte heute Morgen zum ersten Mal nach längerer Zeit versucht, sie zu verführen, und sie hatte ihn abgewiesen und so getan, als wüsste sie nicht, was er von ihr wollte. Warum verhielt sie sich ihm gegenüber so? War sie sich nicht immer sicher gewesen, ihn aus Liebe geheiratet zu haben, und hatte sich nicht alles richtig angefühlt?
   Im Augenblick fühlte sich jedenfalls nichts richtig an! Hier an diesem Strand hatten sie sich vor sieben Jahren kennen gelernt. Sieben Jahre? Sie waren jetzt also im verflixten siebten Jahr, wie man so schön sagte. Unsinn, alles Aberglaube!
Sie war damals erst vierundzwanzig Jahre alt und hatte gerade in Freiburg ihr erstes Staatsexamen bestanden. Sie erinnerte sich noch genau und mochte nicht glauben, dass das nun schon wieder so lange her war. Sie dachte an den Diebstahl ihrer Strandsachen und an Jörgs Rettungsaktion. Seitdem waren sie zusammen und hatten zwei Jahre später geheiratet. In der Rückschau kam ihr plötzlich ihr ganzes bisheriges Leben banal und seicht vor.
   Erst während der  Studienjahre in Freiburg war sie zum ersten Mal auf sich allein gestellt gewesen und hatte diese neue Freiheit sehr genossen, auch wenn sie in der WG damals sehr beengt leben musste, so hatte sie doch an ihrem erstarkendem Selbstbewusstsein Gefallen gefunden.
   Augenblicklich dachte sie an ihre erste Große Liebe, an Michael zurück. Sie waren anderthalb Jahre miteinander gegangen. Dann zog er fort, und sie hatte nie wieder etwas von ihm gehört. Damals war sie vom Gefühl der ersten Verliebtheit total überwältigt worden. Wie sich auch solche intensiven Gefühle in der Erinnerung doch wieder verlieren, dachte sie wehmütig. So sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte sich die Erinnerung an dieses heftige Gefühl ihrer ersten Großen Liebe nicht mehr vergegenwärtigen.
    Wieder kam ihr der Tag ihres Kennenlernens mit Jörg in den Sinn. Hier an diesem Strand