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Milchmond (German Edition)

Milchmond (German Edition)

Titel: Milchmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herfried Loose
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Scheißding sitzt an einer Stelle, wo es kein Arzt riskiert, weiter daran zu schnippeln. Sie haben gesagt, ich solle meine Angelegenheiten regeln und ich müsse Aufregung unbedingt vermeiden. Ist ja ein Witz: Aufregung vermeiden!, wenn dir gesagt wird, dass du praktisch schon ein toter Mann bist! Aber aufregen soll ich mich nicht, warum auch?«
   Sie rückte näher zu ihm, legte ihren Arm um seine Schultern. Er ließ es dankbar geschehen und lehnte seinen Kopf an sie. Ihr Blick wanderte in ihren Garten und eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel. Verdammt, warum tat das nur so weh? So etwas wünschte man niemandem. Sie erinnerte sich an Jörgs Enthusiasmus, wenn er sich für seine Big-Band engagierte, an seine Dynamik, an seine gute Laune. Nun saß er glatzköpfig, mit eingesunkenen Schultern neben ihr und hatte nur noch wenige Wochen zu leben. Es war furchtbar! Wie sollte das gehen? Er hier allein im Haus? Geschwister hatte er keine, nur seinen Kollegenfreund Sebastian. Seine Eltern waren tot; sie hatte ihre Schwiegereltern nicht mehr kennen gelernt. Sie waren im Abstand von zwei Jahren verstorben, erst sein Vater an einem Hirnschlag, dann vor zehn Jahren seine Mutter, die von einem Bus erfasst wurde, als sie unachtsam über die nächtliche Straße lief.
   Man hatte nie herausgefunden, ob es ein Unfall oder ein Selbstmord war. Sie war schon seit längerem depressiv, einen Abschiedsbrief fand man jedoch nicht. Außer ihr, Julia, hatte Jörg niemanden, der sich um ihn kümmern konnte. Diese Erkenntnis holte sie auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie musste jetzt stark sein und handeln! Wenigstens die letzten Wochen sollte er in seiner vertrauten Umgebung verbringen können. 
   Dann dachte sie an das Haus. Dieses Reihenhaus war denkbar ungeeignet für einen Mann im Rollstuhl. Sein Leben würde sich im Erdgeschoß abspielen müssen. In Gedanken fing sie bereits an, die Lage zu analysieren. Unter diesen Umständen konnte sie ihn nicht den ganzen Tag allein lassen. Sie würde mit ihren Chefs sprechen, ob sie sich, unter Anrechnung ihrer alten und neuen Urlaubstage einige Wochen von der Kanzlei beurlauben lassen könnte.
   Dies hier hatte Vorrang, also würde es auch einen Weg geben! Sie begann wieder zu sprechen: »Wir werden alles tun, damit du es gut hast. Das verspreche ich dir. Wir werden die besten Ärzte aufsuchen, es gibt immer einen Weg, man muss ihn nur finden. Wir werden das durchstehen.« Jörg setzt sich auf und sah sie nun erstaunt an. »Was wird dein neuer Freund dazu sagen?«
   »Er wird dafür Verständnis haben, nehme ich an. Es ist ja nur vorübergehend...«, sie biss sich entsetzt auf die Lippen. Was hatte sie da eben gesagt?
   »Ja, es ist nur vorübergehend!« Nickend sah Jörg auf seine Hände.
   »Entschuldigung, es tut mir so leid, so wollte ich das nicht sagen!«, beeilte sie sich, das Entsetzliche, das ihr eben über die Lippen gekommen war, ungesagt zu machen. »Entschuldigung Jörg!«, sie hatte sein Gesicht in beide Hände genommen und sah ihn verzweifelt an. »Es ist mir nur so über die Lippen gekommen, es tut mir Leid. Natürlich wirst du wieder gesund. Ganz bestimmt!«
 
Nachdem sie anschließend im ganzen Haus erst einmal gelüftet, die Unordnung und das Chaos begutachtet hatte, entwickelte sie einen Aktionsplan: Als erstes mussten Lebensmittel eingekauft werden, dann wollte sie Jeanette fragen, ob die ihr helfen würde das Haus zu putzen, außerdem musste sie mit ihren Chefs sprechen, die ja noch nichts davon erfahren hatten, dass sie getrennt lebte - und sie würde mit Tobias reden müssen. Der wartete sicher schon auf ihre Rückmeldung. Aber der Reihe nach: Zuerst die Lebensmittel.
   Nachdem sie Jörg das Telefon, etwas zu trinken und zu lesen hingestellt hatte, fuhr sie zum Einkaufscenter. Sie erledigte alles zügig, verstaute die Einkäufe und fuhr zu Tobias. Sie wollte ihm das, was sie jetzt zu tun gedachte, nicht am Telefon erklären. Das musste sie von Angesicht zu Angesicht durchstehen. Sie wusste, dass er das verstehen würde. Ihre Liebe würde dadurch keinen Schaden nehmen.

Tobias war noch nicht von der Arbeit heimgekommen. So nutzte sie die Zeit, um einen Koffer mit Sachen für die nächsten Tage zu packen, denn sie hatte ja alles aus Harvestehude bereits abgeholt und hergebracht. Als sie gerade den Koffer schloss, hörte sie Tobias zur Wohnungstür hereinkommen.
   Als seine Gestalt in der Schlafzimmertür erschien und den

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