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Milchmond (German Edition)

Milchmond (German Edition)

Titel: Milchmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herfried Loose
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Augen blickten sie Mitleid erregend an. Sie sah mehrere dunkle Pflaster auf seiner Schädeldecke.
   »Gehirntumor… inoperabel!«
Eine eiskalte Faust griff nach ihrem Herzen, zerquetschte es, sie keuchte und rang nach Luft.
   »Man gibt mir noch sechs Wochen, maximal zehn! Ich solle meine Angelegenheiten regeln!, rät mir die Ärztin.«
   Sie stoppte an der nächsten Bushaltebucht. Das Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Jörg, es… es tut mir so leid. Wie ist das möglich? Du hattest doch nie etwas, warst immer kerngesund?«
   »Tja, so schnell kann's gehen, Julia, so schnell...! Lass uns zuhause reden, nicht hier, mitten im Verkehrs-Gewimmel. Fahr weiter!« Mechanisch drehte ihre Hand den Zündschlüssel, schweigend, ein jeder in seinen Gedanken versunken, fuhren sie nach Harvestehude.

Der Zugang zu ihrem Haus bot ein Bild des Jammers. Die Blumen, die sie immer mit Hingabe gepflegt hatte, waren vertrocknet, schlaff hingen die braunen Halme anklagend über die Topfränder. Sie erschauerte. »Gib mir bitte deinen Schlüssel!«, auffordernd hielt sie ihm die Hand entgegen.
   »Nimm deinen! Ich müsste suchen!«
   »Ich habe dir meinen auf den Flurschrank gelegt, nachdem ich meine Garderobe abgeholt hatte.«
   »Ach ja? Hab ich gar nicht bemerkt. Er nestelte in der Tasche auf seinem Schoß, dann reichte er ihr seinen Schlüsselbund. Mit zitternden Händen schloss sie auf, nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Das Haus roch muffig und ungelüftet. Sie rollte Jörg in das Wohnzimmer. Dann holte sie die restlichen Sachen aus dem Auto.
   »Ich lüfte erst einmal, damit hier frische Luft reinkommt.« Sie öffnete die Terrassentür und schon wehte ein frischer Luftstrom durch das Wohnzimmer und den Flur hinaus zum Vordereingang. »Ich glaube, ich mache uns erst einmal einen Tee, oder willst du lieber Kaffee?«
   »Tee, bitte.«, kam es brüchig aus dem Wohnzimmer. Sie schaute sich rasch in der Küche um. Unordnung, wohin sie sah. Es kam ihr so fremd und so trist vor, dieses Haus, welches einmal ihr Heim war. Furchtbar! Sie fand nur noch eine Packung mit Teebeuteln, der lose Tee in der kupfernen Dose war nicht wieder ergänzt worden.
   Mit zwei hohen Teegläsern balancierte sie zurück ins Wohnzimmer. Jörg saß bereits auf der Couch, die beiden Krücken neben sich. Sie setzte sich neben ihn und streichelte ihm kurz die Hand. Dankbar quittierte er die zarte Berührung mit einem angedeuteten, gequälten Lächeln. Schweigend nippten sie an den heißen Gläsern. Sie sah ihn von der Seite an, sah, wie er mit geschlossenen Augen mit kleinen Schlucken den Tee trank. Wie konnte es sein, dass sich ein Mensch binnen weniger Wochen so veränderte? Diese Frage drängte in ihr auf Antwort.
   »Erzähl, Jörg, was ist passiert?« Er tat, als hätte er die Frage nicht gehört und nippte weiter an seinem Tee. Nach einer Weile senkte er das Teeglas und sah ihr ins Gesicht.
   »Tja, wo soll ich anfangen, Julia? Es war kurz nachdem ich deinen Brief bekam, da fing es an, dass ich plötzlich nicht richtig sehen konnte; mal erschienen die Sicht-Ränder neblig verschwommen, mal sah ich doppelt. Ich bin dann sofort zum Augenarzt, und der überwies mich gleich weiter in die Uniklinik. Dort stellte man mich auf den Kopf und entdeckte einen Gehirntumor. Sie operierten mich und versuchten, das Ding herauszuschneiden. Bei der OP merkten sie aber dann, dass es nicht möglich war, alles zu entfernen. Seitdem habe ich leider Koordinierungsstörungen in den unteren Gliedmaßen, deshalb der Rollstuhl. Es passiert, dass mir einfach das linke Bein wegknickt, und dann liege ich lang!«  
   »Aber, wieso kommt das so plötzlich? Du hast doch vorher nichts gehabt, oder?«
   »Naja, ich hab dem damals keine Bedeutung beigemessen, aber jetzt, im Nachhinein betrachtet, gab es doch Anzeichen. Erinnerst du dich, wie ich ein paar Mal auf der Treppe gestolpert war und wie ich manches Mal so ein taubes Kribbeln unterhalb des linken Knies gespürt hatte?«
   Sie dachte nach: Ja, gestolpert war er auf der Treppe, aber an ein taubes Kribbeln konnte sie sich nicht erinnern. Zwar hatte er mit dem Knie öfter schon Probleme gehabt, das war jedoch ein Relikt aus seiner aktiven Fußballzeit. Verschleiß, wie er oft lakonisch bemerkt hatte.
   Beklommen sah sie ihn an. »Und was wollen sie jetzt weiter mit dir machen?«
   »Nicht viel, sie können nichts mehr für mich tun. Das

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