Milchmond (German Edition)
versuchte, seinen Blick zu enträtseln.
»Föhr hat mir gut getan! Die Ärztin sagt, der Tumor sei seit der letzten Untersuchung nicht gewachsen, das sei höchst positiv! Sie rät mir dafür zu sorgen, dass ich abgelenkt bin und den positiven Aspekten des Lebens meine Aufmerksamkeit schenke. Wir sollen darüber nachdenken, eine weitere Reise zu unternehmen. Außerdem hat sie einen Nervenfunktionstest gemacht. Die Werte sind besser geworden. Ich soll versuchen, soweit ich es mir zutraue, meine Beine zu gebrauchen. Den Rollstuhl soll ich nur verwenden, wenn es gar nicht anders geht. Ansonsten muss ich meine Beine trainieren, möglichst mit nur einer Gehhilfe. Ist das nicht groß-artig?«
»Ja wirklich, ich bin völlig verblüfft! Das sind ja wundervolle Nachrichten! Was ist mit Therapie, Bestrahlung, Medikamente?«
»Bestrahlung geht nicht, dafür sitzt der Tumor an einer zu ungünstigen Stelle: Die Tabletten, die sie mir bisher schon verschrieben hat, soll ich weiterhin in der gleichen Dosierung nehmen; sie hätten ausgezeichnete Wirkung gezeigt!«
»Und, hast du Vertrauen zu der Doktor... äh, wie hieß sie doch noch gleich?«
»Warum willst du das wissen?« Sein Ton hatte plötzlich den strahlenden Glanz verloren, er schaute sie missvergnügt an. »Du musst dich nicht um den ganzen medizinischen Kram kümmern, es reicht, wenn ich mich damit auseinander setze!«
»Ich frag nur, falls sie wieder anruft. Es wäre doch peinlich, wenn ich dann ihren Namen nicht wüsste, oder? Manchmal bist du aber wirklich komisch, Jörg! Was soll die Geheimnistuerei?«
»Hat nichts mit Geheimnistuerei zu tun. Ich will nur nicht, dass du dich noch mehr mit all dem beschäftigen musst. Aber wenn du es unbedingt wissen willst, sie heißt Stein-Gorecki und macht einen sehr kompetenten Eindruck. Bist du nun zufrieden?«
»Entschuldigung, ich wollte nicht aufdringlich sein!«, murmelte Julia gedankenverloren, dann startete sie den Wagen.
Am nächsten Tag, nach dem Einkauf, beschloss sie, die Ärztin anzurufen. Nach dem ersten Freizeichen wurde schon abgenommen. Eine sympathische Frauenstimme meldete sich mit einem forschen, fragenden »Hallo?«
»Ja, hallo! Guten Tag, Frau Doktor Stein-Gorecki. Hier spricht Julia Rosshaupt, es geht um meinen Mann Jörg Rosshaupt. Sie behandeln ihn. Ich wollte Sie um einen Gesprächstermin bitten, zunächst allein, ohne ihn. Ich mache mir Sorgen, wissen Sie? --- Hallo? Sind Sie noch da?« Die Leitung schien einen Moment lang unterbrochen zu sein, dann meldete sich Doktor Stein-Gorecki wieder, sie hatte wohl erst eine Tür geschlossen, denn nun waren deutlich weniger Hintergrundgeräusche zu hören.
»Ja, ja, ich bin noch dran. Entschuldigen Sie Frau Rosshaupt. Ich bin gerade im Fahrstuhl und hatte eine kurze Unterbrechung. Sie wollen einen Gesprächstermin mit mir?«
»Ja, Sie sind doch seine behandelnde Ärztin? Kann ich Sie heute in der Klinik aufsuchen? Sagen Sie eine Uhrzeit, ich werde da sein.«
»Oh, das tut mir Leid, Frau Rosshaupt, das geht leider nicht, denn ich bin seit gestern in Urlaub und fliege morgen für drei Wochen nach Afrika. Hat das nicht Zeit bis danach?«
»Oh, hören Sie, Frau Doktor, wie Sie selbst wissen, verbleibt meinem Mann nur noch wenig Zeit bis zu...« Julia konnte das Wort nicht aussprechen. »Ich muss Sie sprechen, es ist wirklich dringend. Bitte!«
»Woher haben Sie überhaupt meine Privatnummer, Frau Rosshaupt?«
»Sie hatten doch meinen Mann angerufen, um ihn zu Nachuntersuchungen einzubestellen. Ich habe mir Ihre Nummer von seinem Handy notiert. Entschuldigen Sie bitte, ich wusste nicht, dass Sie jetzt nicht in der Klinik sind. Kann ich mir denn in der Klinik bei einem anderen Arzt Auskunft holen? Wenn ja, bei wem, Frau Doktor?«
»Nein, nein, es ist schon besser, wenn Sie mit mir sprechen. Was wollen Sie wissen, Frau Rosshaupt?«
»Bitte nicht am Telefon, Frau Doktor! Dürften Sie denn das überhaupt, ich meine, muss ich mich nicht erst Ihnen gegenüber ausweisen, dass ich seine Ehefrau bin, wegen des Datenschutzes und so?«
»Natürlich, ja, da haben Sie vollkommen recht.« Sie schien einen Moment zu überlegen. »Wissen Sie was, Frau Rosshaupt? Ich mache eine Ausnahme, wir treffen uns auf eine Viertelstunde in einem Lokal. In der Klink möchte ich mich jetzt, im Urlaub, lieber nicht sehen lassen. Das verstehen Sie sicher, oder?«
Erleichtert atmete Julia
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