Milchmond (German Edition)
seine Ex! Sylvia Sommer, mit der er sechs Jahre zusammen war.«
»Woher wissen Sie das?«, hatte Julia sie gefragt und ungläubig die alte Frau angestarrt. Sie war sicher, dass sie sich verhört hatte.
»Na, als ich in der Wohnung war, klingelte das Telefon. Ich gehe ja nicht ran, denn der Anrufbeantworter ist ja immer eingeschaltet und läuft laut mit. Ich erkannte die Stimme sofort, obwohl sie sich nicht mit Namen meldete. Ich hörte sie auf das Band sprechen. Herr Steinhöfel solle sie doch schnellstmöglich zurückrufen, wenn er nach Hause käme - sie hätte eine noch tollere Überraschung für ihn bereit, als am letzten Wochenende! So, oder so ähnlich, hatte sie sich ausgedrückt und am Telefon sehr verführerisch geklungen. Die hat was vor, sage ich Ihnen, Frau Rosshaupt! Dabei haben sie beide soviel besser zusammen gepasst!«, hatte sie ihr mit traurigem Blick anvertraut und kopfschüttelnd hinzugefügt: »Ich hätte es Ihnen beiden so gegönnt...!« Die alte Frau hatte den Satz unvollendet gelassen und sich wieder ihrer Arbeit zugewendet.
Julia war über Jeanettes Vertrauensseligkeit erstaunt und gerührt und hatte sich gewundert, dass die alte Frau augenscheinlich keinerlei Anstoß daran nahm, dass sie noch verheiratet war. Sie war sich sicher, dass ihre Eltern nicht so tolerant über die Sache denken würden, wenn sie davon erfuhren. Sie wusste ihr Geheimnis bei Johannes jedoch gut aufgehoben.
Die Nachricht von Jeanette hatte ihr einen Stich ins Herz versetzt und sekundenlang befürchtete sie umzukippen, so schwindlig war ihr plötzlich. So war das wohl mit den Großen Lieben. Meist hielten sie nicht einmal einen Sommer lang, und ihre schien bereits nach zwei Monaten am Ende zu sein. Sie schalt sich selbst eine Närrin, daran so fest geglaubt zu haben. Wie hatte ihr das nur passieren können? Sie, eine gut ausgebildete und moderne, intelligente Frau, verfing sich in den Netzen ihrer Gefühle, hörte mehr auf die Schmetterlinge in ihrem Bauch als auf ihren Verstand.
Fühlte sie sich bisher von Tobias nur unterschwellig enttäuscht, dass er sich nicht einmal bei ihr meldete, so wandelte sich durch diese Nachricht, ihre Enttäuschung in Verbitterung. Sie hätte sich ohrfeigen können, so vertrauensselig gewesen zu sein.
Ein bunter Gummiball flog auf sie zu und traf sie am Fuß. Ein kleines Mädchen mit gepolstertem Windel-Po kam unsicher schwankend mit ausgebreiteten Armen auf sie zu gestolpert. »Balla! Balla!«, quietschte die Kleine vergnügt. Julia reichte ihr den Ball hin. Sie ergriff ihn und die fröhlichen Kinderaugen blickten sie einen langen, magischen Moment an, als wollten sie ihr etwas sagen.
Julia erschauerte bei diesem Blick, hörte blitzartig die Stimme ihres Bruders sie fragen: Ist dein Tun ein Akt der Liebe oder der Selbstsabotage? Plötzlich hatte sie ihre Antwort - das kleine Mädchen gab sie ihr gerade.
ES IST EIN AKT DER SELBSTSABOTAGE!
schrie es in ihr. Gut, dass sie die dunkle Sonnenbrille trug. So konnte Jörg nicht sehen, wie ihre Augen hinter den Gläsern feucht wurden. »Du frierst ja!«, hörte sie ihn sagen. Sie schaute auf die Gänsehaut an ihren nackten Armen, auf die er deutete.
»Ja, du hast Recht! Lass uns gehen!«, sagte sie tonlos und stand auf. Sie half ihrem Mann ebenfalls auf die Beine, dann gingen sie zurück zum Auto.
An diesem Abend wollte Jörg das erste Mal nach langer Zeit wieder mit ihr schlafen. Sie hatte nicht die Kraft, es ihm abzuschlagen und bemühte sich vergeblich, seine Erwartungen zu erfüllen. Nichts, aber auch gar nichts empfand sie, sondern konnte nur daliegen und es über sich ergehen lassen, in der Hoffnung, es möge möglichst schnell vorbei sein. Er ließ schließlich frustriert von ihr ab, drehte sich um und schlief ein. Sie hörte es an seinen tiefen Atemzügen.
Sie fühlte sich ausgebrannt, leer, abgestorben und lag noch lange Stunden danach wach und weinte lautlos, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Versunken in einer nie gekannten Verzweiflung, fiel sie endlich, gegen Morgengrauen, in einen unruhigen Schlaf.
Später an diesem Sonntag sprach Jörg kein Wort mit ihr. Julia versuchte ein paar Mal, ein Gespräch in Gang zu bringen, gab es jedoch nach einigen Anläufen auf, nachdem er auf ihre Fragen nur nickte, knurrte oder aber gar nicht reagierte. Stumm ging jeder nach dem späten Frühstück seiner Beschäftigung nach. Jörg saß vor der Glotze und sah
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