Milchmond (German Edition)
auf.
»Das ist eine gute Idee, Frau Doktor, vielen Dank! Schlagen Sie ein Lokal vor!«
»Wie wäre es in einer Stunde im Octopus, in der Mönckebergstraße. Kennen Sie das?«
»Ja, natürlich, ich werde dort sein. Wie erkenne ich Sie?«
»Melden Sie sich beim Ober, der kennt mich, okay?«
»Ja, danke, bis gleich, vielen Dank!« Damit war das Gespräch beendet.
Um auf alle Fälle pünktlich zu sein, fuhr sie gleich weiter zur angegebenen Adresse und wählte einen Platz im Hintergrund, wo sie den Eingang beobachten konnte und wo sie sich ungestört würden unterhalten können. Sie setzte den Ober in Kenntnis, dass sie auf eine Frau Doktor Stein-Gorecki warten würde und diese sich an ihn wenden würde, um sie zu finden, da sie sich nicht persönlich kennen würden. Der Ober nickte, nahm dankend den Fünf-Euro-Geldschein an und dann ihre Bestellung auf.
Das Gespräch dauerte wirklich nur eine Viertelstunde. Die Frau Doktor war pünktlich und der Ober geleitete sie an ihren Tisch. Sie war auffällig attraktiv und anscheinend ledig, denn sie trug keine Ringe. Die glatten schwarzen Haare mit dem strengen Pony reichten ihr bis zu den Schultern, sie wirkte auf Julia distanziert und kontrolliert. Sie war augenscheinlich sehr in Eile und legte nicht einmal ihren langen Mantel während des kurzen Gesprächs ab. Bestellen tat sie auch nichts, sondern kam ohne Umschweife zum Thema.
Die Ärztin berichtete ihr kurz das, was Julia schon von Jörg wusste. Das einzig Neue war, das Frau Doktor von einem Forschungsprogramm berichtete, in das sie Jörg aufnehmen wolle, der sich aber über die Teilnahme noch nicht schlüssig sei. Es solle eine neue Therapie getestet werden, von der sie sich etwas verspreche. Sie rate dringend dazu, jeden Stress von dem Patienten fernzuhalten und ihn im Übrigen möglichst abzulenken, weil er Gefahr laufe, sich in Depressionen zu verlieren. Sie halte ihn für suizidgefährdet und deshalb solle sie, Julia, als seine Frau, dafür Sorge tragen, dass er möglichst seelisch stabilisiert würde. Bei diesem Appell drückte sie Julias auf der Tischfläche ruhende Hand und stand dann mit den Worten auf: »Und nun müssen Sie mich bitte entschuldigen, Frau Rosshaupt, ich habe noch dringende Termine zu erledigen. Während meiner Abwesenheit wird ihr Mann von meinen Kollegen in der Klinik bestens betreut, falls das nötig sein sollte. Seien Sie tapfer und geben Sie ihrem Mann die Kraft, die er jetzt so dringend braucht.«
Kapitel 23
Als Julia nach dem Gespräch mit der Ärztin wieder zu Hause eintraf, teilte Jörg ihr freudestrahlend mit, dass er gerade mit der Vermietungsagentur auf Föhr gesprochen habe und ihr Haus ab Samstag wieder frei sei. Er habe es noch einmal für eine Woche gebucht.
Das kam überraschend. Julia fand die Idee auf Anhieb sympathisch, fühlte sie sich doch in ihrem Reihenhaus nicht mehr wohl. Also machte sie sich daran, erneut Vorbereitungen für den kommenden Föhraufenthalt zu treffen. Es waren noch einige Maschinen Wäsche zu waschen, zu bügeln und die Koffer zu packen.
Weil das Haus in einem fürchterlichen Zustand war, bat sie Jeanette noch einmal um ihre Mitarbeit beim Hausputz. Die treue Seele sagte sofort zu und wollte gleich im Anschluss an ihre Arbeit bei Tobias zu ihr kommen. Julia war sehr erleichtert darüber. Sie wollte das Haus nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub schließlich sauber vorfinden.
Eine Viertelstunde bevor die Fähre den Wyker Hafen erreichte, stand Julia noch am Heck des Schiffes und blickte auf die breite Strudelschleppe, die von der Schiffsschraube, wie eine breite Autobahn, in die Nordsee gefräst wurde. Sie liebte diesen Anblick und ließ ihn sich bei keiner Überfahrt entgehen. Jörg war im Auto sitzen geblieben. Sie spürte seine Blicke im Rücken. Die dunklen Haare wurden ihr vom Meereswind wie ein Schleier ins Gesicht geblasen, raubten ihr immer wieder die Sicht.
Wie ein Trauerschleier!, kam es ihr in den Sinn. In der Tat vermisste sie das glückliche Gefühl, das sie sonst immer überkam, wenn sie von der Fähre aus, zu dem hinter der Horizontlinie versinkenden Festland, zurück- blickte.
Sie haderte mit ihrem Schicksal. Das Leben war hart und ungerecht. Warum musste ausgerechnet sie in eine solche Lage kommen? Sofort schob sie den Gedanken reuevoll beiseite. Hätte Jörg nicht viel mehr Grund, seine Lage zu beklagen? Das war jetzt weder die rechte Zeit noch der rechte Ort,
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