Milchmond (German Edition)
war mild. Sie genossen den Nachmittag auf der Promenade, bummelten durch Geschäfte und gönnten sich anschließend einen Eisbecher an den Außentischen eines Eiscafes. Dort, zwischen Bäumen auf dem Grünstreifen der Promenade, hatten sie freien Blick auf die Nordsee und den majestätisch im steten Rhythmus an- und abfahrenden weißen Schiffen der Wyker Dampf-Schifffahrts-Reederei.
Jörgs anfänglich gute Laune schlug bei diesem Anblick in Wehmut um. Er sagte nichts. Julia wusste auch ohne Worte, was er dachte. Er nahm Abschied von seiner geliebten Insel. Auch Julia schnürte es das Herz zusammen. Ohne ihn würde sie wohl auch niemals mehr einen Fuß auf Föhr setzen, dafür waren mit diesem Eiland zu viele Erinnerungen verbunden. Sie nahmen beide Abschied.
Als es Zeit wurde zu gehen - die Sonne war bereits hinter den Häusern verschwunden und mit dem Schatten kam die Kühle - drückte sie seine Hand, stand seufzend auf und schob den Rollstuhl mit ihrem schweigsamen Mann über die Promenade zurück zum Parkplatz.
Im Haus angekommen, packte sie die Koffer, um anschließend in Ruhe in ein um die Ecke gelegenes Lokal zum Essen gehen zu können. Es kam ihnen beiden wie eine Henkersmahlzeit vor, und so aßen sie ihre Teller nur halb leer, denn der Appetit war ihnen gründlich vergangen.
Die Rückfahrt von der Insel verlief reibungslos und ohne viele Gespräche. Sie standen den Samstagmorgen früh auf, frühstückten und Julia belud das Auto. Dann brachen sie auf, um die Zehn-Uhr-Fähre zurück nach Dagebüll zu erreichen. Es folgte ein quälendes Wochenende im Harvestehuder Haus. Jörg versuchte ein paar Mal, etwas zu komponieren, brach dann aber nach kurzer Zeit entnervt ab und humpelte unruhig auf seinen Krücken durch das Haus. Der Abschied von der Insel machte ihm anscheinend mehr zu schaffen, als er sich eingestehen wollte. Etwas musste geschehen, das wussten sie beide.
Julia fasste am Wochenende den Entschluss, sich mit ihrem Bruder Johannes zu besprechen. Sie wollte ihn ins Vertrauen ziehen, denn sie brauchte dringend jemanden, mit dem sie sich aussprechen konnte. So verabredete sie sich mit ihm für den folgenden Dienstag, während der Zeit, in der Jörg in der Uniklinik seine Kontroll-Untersuchungen vereinbart hatte.
Dienstagmorgen verabschiedeten sie sich vor der Klinik voneinander. Julia wollte Jörg aus einem ersten Impuls heraus begleiten, doch er wehrte ab und meinte, sie solle nur zu ihrem Bruder fahren; etwas Abwechslung würde ihr sicher gut tun, da die Untersuchungen erfahrungsgemäß endlos viel Zeit in Anspruch nähmen. Er versprach anzurufen, sobald er in der Klinik fertig sei.
Auf der Fahrt zu Johannes und Karen fühlte sie sich versucht, Tobias anzurufen, steckte es dann aber, nachdem sie das Handy schon unentschlossen in der Hand hielt, doch wieder ein. Sie brauchte erst Trost und Rat von Johannes, denn sie fühlte sich alles andere als gut. Als sie vor dem Pfarrhaus hielt, kam es ihr wie Ewigkeiten vor, seit sie das letzte Mal hier gewesen war. Das letzte Mal, als ihre Welt noch nicht in Trümmer zerfallen und sie darunter begraben lag.
Karen und Johannes empfingen sie gemeinsam an der Haustür. Nach der freundlichen Begrüßung blickte sich Julia suchend um. »Wo ist Claudius? Er hatte doch vergangenen Samstag Geburtstag, und ich möchte ihm sein Geschenk geben.«
»Seit gestern ist er im Kindergarten, du glaubst gar nicht, wie gut es ihm dort gefällt. Für uns ist es auch völlig ungewohnt, diese Ruhe am Vormittag. Der Kindergarten macht um halb eins Schluss. Anna-Lena kommt etwas später, nach der sechsten Stunde aus der Schule. Dann essen wir alle gemeinsam. Bis dahin habt ihr genug Zeit, euch unter vier Augen zu unterhalten.«
Karen nahm ihr lächelnd den Mantel ab. Sie gingen ins Wohnzimmer. »Johannes hat mir schon gesagt, dass du dringend mit ihm etwas zu besprechen hättest, da lass ich euch am besten eine Weile ungestört und fahre zum Einkaufen. Auf dem Rückweg hole ich Claudius vom Kindergarten ab. Kaffee ist schon fertig und steht in der Küche bereit. Bedient euch nur - bis später!«
Dankbar nickte Julia ihr zu und ging mit Johannes zusammen in die Küche. Der bestückte ein Tablett und bedeutete ihr, mit ihm in sein, dem Eingangsflur gegenüber gelegenes Besprechungszimmer zu gehen. »Dort sind wir ungestört!«
Nachdem sich Johannes alles in Ruhe angehört hatte, ohne sie auch nur ein einziges Mal zu
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