Milchrahmstrudel
Eigentlich hätte er sie in Windischgarsten aufgeben müssen. Aber dazu reichte die Zeit nicht. Das Problem ist, auch für München reichte sie nicht.«
Sprudel wartete schweigend, bis Fanni anfing, ihm vorzurechnen: »Ich habe Roland um vier Uhr am Treppenabsatz liegen sehen. Auf der Suche nach jemandem mit medizinischer Ausbildung bin ich dem Pflegedienstleiter in die Arme gelaufen. Unserer Theorie zufolge müsste der gerade vom inzwischen bereinigten Tatort auf dem Weg in sein Büro gewesen sein, um die getürkten Nachrichten zu verfassen. Daran habe ich ihn gut zwanzig Minuten lang gehindert. Und noch während er sich bemühte, mich loszuwerden, kam ihm Herr Müller in die Quere und schleppte ihn zu jenem Meeting. Selbst wenn diese Besprechung nur eine halbe Stunde gedauert hat, konnte er nicht vor fünf mit seinem Vorhaben beginnen. Mal davon abgesehen, dass es noch eine Weile gedauert hätte, den Brief und die Karte zu schreiben, würde schon jetzt die Zeit nicht mehr gereicht haben, noch nach München zu fahren und beides aufzugeben. Schließen die Postämter nicht um sechs?«
Sprudel nickte.
»Eben«, fuhr Fanni fort, »Karte und Brief hätten aber am Mittwoch noch vor achtzehn Uhr am Hauptpostamt aufgegeben werden müssen, um am Donnerstagvormittag eintreffen zu können.« Sie ließ sich auf ihrem Stuhl zurückfallen und atmete seufzend aus. »Fazit: Unser Kartenhaus stürzt ein.«
»Langsam, langsam, Fanni«, mahnte Sprudel. »Hanno musste Brief und Karte ja nicht selbst aufgeben.«
»Dafür, einen Boten zu schicken, hätte die Zeit doch ebenso wenig gereicht«, rief Fanni gereizt, wurde aber plötzlich nachdenklich. »Außer – außer alles war minutiös geplant, Brief und Karte befanden sich bereits in München und wurden von einem weiteren Mordkomplizen aufgegeben, als Hanno grünes Licht dafür gab.« Sie schüttelte sich. »Sprudel, dieses Theoriengebäude wird mir zu irreal. Wir können es doch hier nicht mit einer ganzen Gang zu tun haben. Sackgasse, Sprudel. Schluss, aus, basta.«
Sprudel nahm ihre Hand in die seine. »Wenn wir in unseren früheren Fällen immer gleich die Flinte ins Korn geworfen hätten, sobald wir in eine Sackgasse geraten sind, wären wir keinem einzigen der Täter auf die Spur gekommen.«
Er sinnierte eine Weile vor sich hin, dann fügte er hinzu: »Aber wir müssen höllisch aufpassen, Fanni, dass wir uns nicht verrennen. Wir haben nämlich nichts, absolut gar nichts außer Hypothesen und einem kurzen Blick auf eine angebliche Leiche. Wir müssen diesmal besonders darauf achten, für alle Hinweise offen zu bleiben. Auf keinen Fall dürfen wir uns auf Hanno als Mörder, ja nicht einmal auf eine Mordtat versteifen.«
Nachdem Fanni ihm heftig zugestimmt hatte, sprach er weiter: »Lass uns nachschauen, ob Roland auf der Zellerhütte ist. Wenn dort niemand etwas von ihm weiß, sagt uns das, dass die Nachrichten aller Wahrscheinlichkeit nach Fälschungen sind. Sollte es sich tatsächlich so verhalten, werden wir Marco einschalten. Ich denke, die Verdachtsmomente würden dann ausreichen, dass er amtlich tätig werden kann.«
»Als Erstes müsste Marco einen Schriftvergleich machen lassen«, sagte Fanni eifrig. »Die Schrift auf der Karte muss von einem Experten mit Rolands Schrift abgeglichen werden. Und wenn sie, wie wir annehmen, nachgemacht wurde, dann kann der Experte durch weitere Schriftvergleiche – mit der von Hanno beispielsweise – vielleicht sogar feststellen, von wem.«
Sprudel nickte daraufhin bloß zerstreut und sah sie abwägend an. Sie hob fragend die Brauen.
Da sagte er behutsam: »Das Wochenende kommt für unsere Tour ins Tote Gebirge wohl nicht in Frage?«
Darüber dachte Fanni eine Zeit lang nach.
Doch bevor sich Sprudel erkundigen konnte, was denn bei Rots am Wochenende Besonderes anlag, sagte sie: »Von Samstag früh bis Sonntagabend begeht Hans mit seinem Kegelclub irgendein Jubiläum, und dazu fährt er nach Oberammergau.« Sie winkte ab, als Sprudel deutliches Entzücken erkennen ließ. »Das will nicht viel heißen, denn gleichfalls am Samstag früh kommt Leni aus Nürnberg und bringt Max mit. Seine Eltern und Minna fahren zu Bekannten in die fränkische Schweiz, aber Max will lieber zu seinem Freund Ivo nach Erlenweiler. Deshalb bringt ihn Leni mit her. Sie und Marco machen sich dann aber gleich auf den Weg nach Klattau, wo Jonas Böckl ein Landhaus gekauft hat und Einweihung feiert.«
»Max«, schmunzelte Sprudel, »Max ist also das
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