Milchrahmstrudel
Tathergang nachvollziehen. Wir haben ein mögliches Motiv des mutmaßlichen Täters, haben seinen Helfershelfer. Nur das Opfer haben wir nicht.«
»Und deshalb«, erwiderte Fanni bedrückt, »wird sich dieser Fall wohl nicht aufklären lassen.«
Was bedeutet, dass du die Blamierte bist! Fanni Rot hat sich in der Katherinenresidenz gründlich zum Gespött gemacht!
»Vergangenes Jahr«, begann Sprudel bedächtig, »als Willi Stolzer im Deggenauer Klettergarten tödlich abstürzte, weil sein Gurt präpariert war, konnten wir uns bei den Ermittlungen nicht wie üblich auf Alibis stützen. Das hat die Aufklärung des Verbrechens sehr erschwert. Trotzdem sitzt Willis Mörder inzwischen hinter Gittern.«
Fanni wand sich. Sie wollte lieber nicht daran erinnert werden, wie knapp sie beide, vor allem Sprudel, davongekommen waren.
Er sprach indessen weiter: »In diesem Fall ist alles noch komplizierter, weil wir nicht einmal beweisen können, dass überhaupt ein Verbrechen vorliegt.« Er dachte eine Weile nach, dann fuhr er fort: »Wenn man bestreiten wollte, dass Roland Becker tot ist, müsste dann nicht der lebendige Roland Becker irgendwo stecken?«
»Deine Feststellung bringt uns zu viertens«, erwiderte Fanni. »Es gibt Nachricht von ihm.«
Sprudel aß ein drittes Stück Kuchen, während Fanni von der Karte an Schwester Monika und dem Schreiben an die Heimleitung erzählte.
»Und wie lautet deine Hypothese dazu?«, fragte er gespannt, nachdem sie ihren Bericht beendet hatte.
»Die Nachrichten sind getürkt«, antwortete Fanni wie aus der Pistole geschossen.
Sprudels Augen weiteten sich. »Du hast ein Indiz dafür entdeckt!«
»Indiz wäre zu viel gesagt«, sagte Fanni zurückhaltend. »Es handelt sich höchstens um den Anflug eines Hinweises, den Schimmer eines Anhaltspunkts.«
Sprudel beugte sich vor, klemmte eine seiner Wangenfalten zwischen Daumen und Zeigefinger, wie er es immer tat, wenn er sich konzentrierte, und sah Fanni erwartungsvoll an.
Als Antwort rekapitulierte sie eine Zeile des Textes von Monikas Karte, den sie Sprudel in voller Länge zuvor bereits aus dem Gedächtnis wiedergegeben hatte: »… ›dass der Wirt händeringend nach jemandem sucht, der was vom Kellnern, vom Bettenbeziehen und vom Kochen versteht‹. Auf einer Berghütte«, erklärte sie daraufhin, »gibt es eine Menge zu tun. Bettenbeziehen gehört nicht dazu. Wie du recht gut weißt, gibt es auf Hütten gewöhnlich Deckenlager. Wer dort übernachten will, muss seinen eigenen Schlafsack mitbringen.«
»Der Hinweis ist dürftig«, sagte Sprudel. »Es könnte eine Floskel sein, einfach so dahingeschrieben.«
»Dachte ich zuerst auch«, erwiderte Fanni. »Aber es gibt noch einen zweiten.«
Sprudel marterte seine Wangenfalte.
»Roland«, sagte Fanni, »hat Tante Luise gegenüber erwähnt, seine Mahlzeiten beziehe er aus Fast-Food-Restaurants, von Dönerständen und Imbissbuden. Weil er nicht kochen könne, habe er sich für seine Wohnung noch nicht einmal einen Herd angeschafft. Denkst du, Roland hat gleich zweimal etwas Falsches einfach so hingeschrieben?«
Die Wangenfalte noch immer zwischen Daumen und Zeigefinger schüttelte Sprudel den Kopf.
Fanni stand auf, schenkte ihm Kaffee nach, dann ging sie zum Brunnen, füllte zwei Gläser mit Wasser und brachte sie an den Tisch. »Es gäbe eine recht einfache Möglichkeit nachzuprüfen, ob Roland auf der Zellerhütte kocht, kellnert und Betten bezieht.«
Benat hat doch angeboten …
Sprudel ließ seine Wangenfalte los und warf beide Arme hoch. »Hurra, wir fahren in die Berge!«
Das brachte Fanni zum Lachen. Sie wurde wieder ernst, als Sprudel fragte: »Sind Brief und Karte von dort gekommen?«
»Beides wurde am Hauptpostamt in München abgestempelt«, erwiderte sie.
Sprudel stutzte. »Ist das nicht auch ein Hinweis darauf, dass es sich um Fälschungen handelt?«
»Einerseits schon«, antwortete Fanni. »Andererseits bringt es unser Hypothesengebäude ins Wanken.«
Sprudel sah sie irritiert an.
»Unsere allerletzte Hypothese«, fuhr Fanni fort, »die postfinale, um an deine Zählung anzuknüpfen, müsste logischerweise folgendermaßen lauten: Nachdem Hanno und sein Komplize den toten Roland und sämtliche Spuren beseitigt hatten, schrieb Hanno den Brief und die Karte, die Rolands Verschwinden erklären und gleichzeitig verhindern sollten, dass nach ihm gesucht wird. Verständlicherweise sah Hanno davon ab, diese Post einfach in Deggendorf in einen Briefkasten zu werfen.
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