Milchrahmstrudel
den Weg zur Zellerhütte. Wir können uns ruhig Zeit lassen. Wie auf dem Klein-Hof ist auch beim Bauer am Gunst um sechs Uhr Melkzeit, und ich glaube nicht, dass Ivo und Max vor acht aus dem Stall auftauchen. Ende Juni ist es fast bis zehn Uhr taghell, sodass wir abends beim Abstieg von der Hütte sicher keine Schwierigkeiten haben werden.«
»Und dann?«, fragte Sprudel, weil Fanni verstummt war.
»Dann übernachten wir auf dem Hof. Ich werde ein Apartment für uns bestellen. Die sind mit Küchen ausgestattet. Wir werden den Kühlschrank bestücken, sodass sich Ivo und Max versorgen können. Obwohl ich glaube, dass die Bäuerin sie mit Geräuchertem und selbst gebackenem Brot, mit Schmalzkringeln und eigenem Apfelsaft reichlich verwöhnen wird.«
Fanni nickte wie zur Bestätigung ihrer Annahme ein paarmal vor sich hin. »Am Sonntag«, fuhr sie daraufhin fort, »fahren wir ganz gemütlich nach Erlenweiler zurück. Ich rechne allerdings damit, erst am späten Nachmittag daheim anzukommen, weil es nicht einfach werden dürfte, die Buben vom Hof am Gunst wegzukriegen.«
Sie sah Sprudel fragend an, denn er wirkte auf einmal sehr nachdenklich.
»Fanni …«, begann er. Doch dann brach er ab und schaute auf seine Armbanduhr. »Halb fünf«, sagte er.
»Meine Güte«, rief Fanni. »Du bist ja heute erst angekommen. Hast noch nicht mal ausgepackt …«
Sprudel wehrte ab. »Nein, nein, das eilt nicht. Was wir aber noch tun sollten, bevor wir uns auf der Zellerhütte nach Roland erkundigen, ist, an seiner Wohnungstür zu klingeln.«
»Unbedingt«, stimmte ihm Fanni zu.
Weil sie im nächsten Moment aber gestehen musste, dass sie noch immer keine Ahnung hatte, wo Roland wohnte, sollte sich für Sprudel doch noch die Gelegenheit ergeben, das Gepäck auf sein Anwesen zu bringen und dort nach dem Rechten zu sehen.
Fanni wollte in der Zwischenzeit Tante Luise nach Rolands Domizil fragen.
»Sie wird es bereits herausgefunden haben, ganz bestimmt!«
5
Als Fanni um kurz nach fünf Uhr Tante Luises Zimmer betrat, traf sie ein recht vorwurfsvoller Blick.
»Ich hätte schon viel früher mit dir gerechnet. Wolltest du nicht wissen, wo Roland wohnt? Nimmst du unsere Nachforschungen nun ernst oder nicht?«
»Ich nehme sie sehr ernst«, antwortete Fanni betont.
Luises Miene wurde freundlicher.
Das bewog Fanni, endlich mit dem Anliegen herauszurücken, das sie drückte, seit sie und Luise sich gegenseitig versprochen hatten, die Wahrheit über Roland Beckers Verbleib herauszufinden.
»Hans …«, begann sie.
Doch Tante Luise winkte ab. »Von mir erfährt er kein Sterbenswörtchen. Er würde uns den Spaß ja glatt verbieten.« Sie leckte sich die Lippen. »Was für angenehme, ereignisreiche Tage uns erwarten!«
Erst jetzt fiel Fanni der leer gekratzte Teller auf dem Tisch vor Tante Luise auf. Sie schnupperte dezent, dann war sie sich sicher. »Milchrahmstrudel.«
Luise nickte ekstatisch. »Hat mir Herr Dr. Benat persönlich gebracht.«
Weil Fanni so verständnislos dreinschaute, schien Tante Luise anzunehmen, dass sie nicht wusste, wer Dr. Benat war und welche Stellung er im Landkreis, besonders aber in der Katherinenresidenz innehatte. Darum wohl fügte sie hinzu: »Dr. Benat ist einer der angesehensten Männer der ganzen Stadt. Er hat hier im Haus etliche Berufsbetreuungen und scheint seine Aufgabe recht ernst zu nehmen. Heute Nachmittag hat er sogar eine Runde durch unser Stockwerk gemacht und mit jedem Einzelnen von uns alten Knackern ein bisschen geredet. Mir hat er Milchrahmstrudel mitgebracht.«
»Ihr habt euch unterhalten?«, fragte Fanni.
»Fast eine halbe Stunde lang«, erwiderte Tante Luise aufgeräumt.
»Habt ihr auch von Roland gesprochen?«, erkundigte sich Fanni.
Wieder nickte Luise. »Herr Dr. Benat hat mir erklärt, warum es sich die Heimleitung schlichtweg nicht erlauben kann, Roland am Ende des Sommers wieder anzustellen, falls er zurückkommt.«
Sie seufzte. »Ich verstehe es ja, dass ein Seniorenheim nur mit absolut zuverlässigen Angestellten funktionieren kann. Dass der ganze Betrieb durch ein Verhalten, wie Roland es sich herausnimmt, empfindlich gestört, wenn nicht sogar lahmgelegt wird. Aber es ist halt schade um ihn, sehr schade. Er ist so ein kompetenter Pfleger, so ein gut aussehender Mann. ›Warum nicht mal eine Ausnahme machen?‹, habe ich Dr. Benat gefragt. ›Für einen, der es wert ist?‹ Und da hat er mir versprochen, die ganze Sache noch einmal zu überdenken.«
Fanni
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