Milchrahmstrudel
einen waren die Mitarbeiter des Bestattungsinstituts deutlich überrascht, dass der Hausmeister den Verstorbenen bereits eingesargt hatte. Mir schien, als wäre das unüblich. Die beiden zeigten sich allerdings recht erfreut darüber. Schließlich ersparte es ihnen Arbeit. Zum andern hat der Hausmeister so getan, als müsse er den Aussegnungsraum eiligst wieder herrichten. Ich glaubte ihn so zu verstehen, dass neuerlich ein Bewohner der Katherinenresidenz verstorben sei und aufgebahrt werden müsse. Wie ich aber später herausbekommen habe, gab es seit Herrn Bonner keinen Toten mehr.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Von Roland Becker mal abgesehen.«
»Fanni«, sagte Sprudel ernst, »was du da berichtest, halte ich mitnichten für Belanglosigkeiten. Es ist doch ein äußerst merkwürdiger Zufall, dass der Hausmeister ausgerechnet am dem Tag Fleißaufgaben macht und den Verstorbenen einsargt, an dem …«, Sprudel schien kurz nachzurechnen, »… laut unserer Hypothese zu Punkt zwei«, fuhr er dann fort, »ein Mordopfer verschwindet. Und ist es nicht ein ebenso kurioser Zufall, dass er es genau an diesem Tag auch verdammt eilig hat, den Müll aus dem Aussegnungsraum zu entfernen?«
Fanni nickte bestätigend. Ja, ihre Beobachtungen waren bedeutungsvoll gewesen.
Sie horchte auf, denn Sprudel hatte weitergesprochen: »Die Hypothese zu Punkt drei ist damit nicht nur genügend untermauert, sie lässt auch eine augenfällige Schlussfolgerung zu.« Er sah Fanni erwartungsvoll an.
Sie nickte wieder. Was bei ihrem gemeinsamen Gedankenexperiment herausgekommen war, entsprach exakt der Theorie, die ihr seit dem gestrigen Tag durch den Kopf ging.
»Der Hausmeister muss der Komplize sein«, sagte sie.
»Warum nicht der Täter?«, fragte Sprudel.
Bevor Fanni antwortete, legte sie Sprudel ein zweites Kuchenstück auf den Teller und nötigte ihn zu essen. »Du bist doch schon seit dem frühen Morgen unterwegs.«
Erst als Sprudel folgsam eine Gabelvoll zum Mund führte, sprach sie weiter. »Abgesehen davon, dass ich diesen Hausmeister nicht für schlau genug halte, so eine Aktion, wie wir sie uns denken, zu planen und durchzuziehen, hätte ja dann er einen Komplizen haben müssen. Wer sollte das denn sein?« Sie machte eine kurze Pause. »Das Ganze ergibt nur umgekehrt Sinn. Und zwar mit Erwin Hanno als Täter und dem Hausmeister als Komplizen.«
Sprudel schluckte. »Finale Hypothese: Der Pflegedienstleiter hat Roland Becker umgebracht und dessen Leiche mit Hilfe des Hausmeisters verschwinden lassen. Haben wir ein paar winzige Anhaltspunkte, die auf Hanno als Täter hinweisen?«
Fanni nickte. »Die Fährte führt geradewegs zu ihm.«
Sie wartete nicht ab, bis Sprudel, der wieder dem Kuchenstück zusprach, so weit war, eine Frage zu stellen. »Hanno hat mit allen Mitteln versucht, mir den Leichenfund auszureden, und auch er hat so getan, als müsse der Aussegnungssaum sofort wieder hergerichtet werden. Gestern hat er sich den Anschein gegeben, als hätte ihn Dr. Benat davon überzeugen können, dass die Konfusion um Roland Becker aufgeklärt werden müsse – ich habe selbst beobachtet, wie er sich in die Brust warf –, und später hat er doch dagegen …« Sie unterbrach sich, überlegte einen Moment und sprach dann weiter: »Vielleicht sollte man ihm dieses Umschwenken geringer anlasten. Die Forderung, alles unter den Teppich zu kehren, kam ja angeblich vom Heimleiter. Der hatte mir zwar zugesichert, der Sache auf den Grund gehen zu wollen, aber wie es scheint, bekam er kalte Füße, als er an mögliche Schlagzeilen in der Presse dachte.«
»Dieser Heimleiter«, warf Sprudel ein, »käme er nicht als Täter in Frage?«
»Natürlich«, gab Fanni zu. »Aber viel weniger als Hanno. Müller war ja offensichtlich, während Rolands Leiche vom Treppenabsatz verschwand – oder zumindest kurz darauf –, auf der Suche nach dem Pflegedienstleiter. Er sagte, sämtliche Teilnehmer des Meetings würden auf ihn warten. Und im Gegensatz zu Hanno sehe ich beim Heimleiter kein Motiv.«
Sprudel zog eine Augenbraue hoch.
»Es heißt«, beantwortete Fanni die stumme Frage, »Roland wollte Hanno von seinem Posten verdrängen und selbst Pflegedienstleiter werden.«
Sprudel legte nach dem letzten Bissen die Kuchengabel auf den Teller, trank einen Schluck Kaffee, lehnte sich in seinem Campingstuhl zurück und sagte: »Was für ein seltsamer Fall. Wir haben einen mutmaßlichen Täter, können sogar den wahrscheinlichen
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