Milchrahmstrudel
hatte nur mit halbem Ohr hingehört, denn erneut war ihr die ganze Tücke des Mordkomplotts ins Bewusstsein gekommen.
Wenn es denn eines gibt! Noch ist nichts bewiesen!
Nein, dachte Fanni, nichts ist bewiesen. Aber wenn es so war, wie ich vermute, dann liegt der ermordete Roland zusammen mit Herrn Bonner in dessen Sarg.
Plötzlich sog sie scharf die Luft ein. »Luise, wann wird denn Herr Bonner beerdigt?«
Tante Luise schüttelte unwillig den Kopf. »Fannilein, solche Gedankensprünge solltest du besser lassen, wenn du das Etikett ›bekloppte Irre‹ loswerden willst.«
»Wann, Tante Luise?«
Luise griff die Räder ihres Rollstuhls und versetzte ihnen einen Schubs, sodass sie einen halben Meter zurückrollte und neben einem Schemel zum Stehen kam, auf dem ein Stapel Zeitungen lag. Sie starrte das oberste Blatt an, während sie murmelte: »Am Mittwoch wurde Bonner abgeholt, am Dienstag ist er gestorben. Die Todesanzeige dürfte am Donnerstag erschienen sein, vielleicht aber auch am Mittwoch schon.« Sie tippte sich an die Stirn. »Am Mittwoch war sie drin.« Luise hob zwei Zeitungen hoch, nahm die darunterliegende heraus und reichte sie Fanni. »Die Todesanzeigen stehen auf der vorletzten Seite.«
Fahrig blätterte Fanni die Zeitung von hinten her auf.
Luise hatte die richtige ausgesucht. Ganz oben auf der vorletzten Seite befand sich die Todesanzeige von Herrn Bonner.
»Die Trauerfeier mit anschließender Beerdigung findet am Freitag, dem 25. Juni, um zehn Uhr in der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt in Deggendorf statt. Von Beileidsbezeugungen am Grab bitten wir Abstand zu nehmen«, las Fanni und ließ das Blatt sinken. »Er ist heute Morgen schon begraben worden.«
Enttäuscht fragte sie sich, ob sie und Sprudel jemals genug Beweise zusammentragen konnten, um eine Exhumierung Bonners zu rechtfertigen.
Du solltest heilfroh sein, dass Bonner nicht eingeäschert wurde!
Fanni faltete die Zeitung zusammen und gab sie Luise zurück. Die legte das Blatt an seinen Platz im Zeitungsstapel und sah Fanni misslaunig an. »Bist du nun wegen Bonners Beerdigung hergekommen oder um etwas über Roland zu erfahren?«
Fanni schreckte auf. »Hast du Rolands Adresse denn herausbekommen?«
Tante Luise zog einen Schmollmund und antwortete nicht.
»Ich bin etwas in Eile«, drängte Fanni. »Wenn wir in dem Haus, in dem Roland wohnt, nichts weiter über seinen Verbleib zu hören bekommen, werden wir uns morgen auf den Weg nach Windischgarsten machen.«
Tante Luise sah sie überrascht an.
Während ihr Fanni erzählte, was sie und Sprudel planten, hob sich Luises Stimmung wieder sichtlich.
»Ihr wollt also tatsächlich zur Zellerhütte«, sagte sie, gerade als sich die Tür öffnete und Erwin Hanno eintrat.
Er gab ihr einen durchsichtigen Becher, in dem sich die zwei Tabletten befanden, die sie abends einzunehmen hatte. Offenbar musste er, weil Roland fehlte, nun selbst Hand im Pflegedienst anlegen.
»Rolands Adresse habe ich leider nicht«, sagte Tante Luise, nachdem Hanno das Zimmer wieder verlassen hatte. »Aber«, fuhr sie fort, bevor sich Fannis Mundwinkel enttäuscht nach unten biegen konnten, »ich weiß, wo er wohnt. Das hat mir Schwester Inge ganz genau beschrieben.« Sie schluckte eine der Tabletten, trank Tee nach und begann zu erklären: »In Egg schräg gegenüber dem Schloss steht angeblich ein kleines, verwunschenes Häuschen. Die Eigentümerin – eine Witwe – wohnt im Parterre. Im ersten Stock, sagt Schwester Inge, hat sich Roland ein Loft eingerichtet.«
Ein Loft? Ist ein Loft nicht eine komplette Etage, meistens die oberste, in einer stillgelegten Fabrik: riesig, hohe Decken? Ein Loft im ersten Stock eines verwunschenen Häuschens? Das wäre ja wie eine Bohrinsel im Aquarium, wie eine Orangerie in Bauer Kleins Heustadel, wie der Mont Blanc im Sandka…!
Mit einem unwilligen Runzeln der Stirn und einem zwischen den Zähnen zermalmten »Ist jetzt eine Schraube locker?«, brachte Fanni die Gedankestimme zum Schweigen. Egal wie man Rolands Räumlichkeiten bezeichnen will, dachte sie, Hauptsache, wir wissen jetzt, wo sie liegen.
Fanni sprang auf.
Luise hielt sie mit einer Geste zurück. »Ein Loft, das ist eine Wohnung ganz ohne Türen und Zwischenwände. Nur das Badezimmer …«
»Du bist ein Schatz, Tante Luise«, unterbrach Fanni sie, gab ihr spontan einen Kuss auf die runzlige Backe und eilte zur Tür. Dort drehte sie sich noch mal um. »Und halt Augen und Ohren offen!«
»Da kannst du Gift drauf
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