Milchrahmstrudel
tatsächlich auf dem Gewissen hat, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass er deine Gespräche mit Luise zu belauschen versucht.«
Fanni zuckte plötzlich zusammen. »Als ich Tante Luise am Freitag erzählt habe, dass wir zur Zellerhütte wollen, stand Hanno auf einmal im Zimmer. Er muss es mitbekommen haben. Und als ich am Samstag losfahren wollte, sprang das Auto nicht an, wie du weißt. Hans hat später herausgefunden, warum.«
Sie sah Sprudel bedeutungsvoll an. »Die Batterie war abgeklemmt. Und weißt du, wer regelmäßig seinen Neffen am Erlenweiler Ring besucht, wobei er direkt an meiner Garage vorbeikommt? Der Hausmeister von der Katherinenresidenz.« Sie berichtete, dass jener Hausmeister ein Verwandter ihres Nachbarn Struck war, mit dem Hans Rot regelmäßig Schafkopf spielte.
»Wir müssen endlich Marco informieren«, sagte Sprudel. »Die Sache wird mir zu brenzlig. Was, wenn es Hanno nicht reicht, Rolands Notizen an sich gebracht zu haben? Was, wenn er fürchtet, du wärst inzwischen mit Hilfe deiner Tante hinter ihre Bedeutung gekommen?«
8
Sprudel hatte keine Ausflüchte gelten lassen. Er hatte sogar gedroht, Fanni persönlich am Erlenweiler Ring abzuholen, wenn sie nicht in der Früh um neun am Parkplatz des Supermarktes stehen würde, um zu ihm ins Auto zu steigen und mit ihm zum Polizeipräsidium nach Straubing zu fahren, wo sich Marcos Dienststelle befand. Sie müsse unverzüglich ihre Aussage machen, hatte Sprudel verlangt, egal ob von Jonas schon eine Vermisstenanzeige vorlag oder nicht.
Fanni hatte letztendlich eingewilligt und sich am Dienstagmorgen, dem 29. Juni, auf besagtem Parkplatz eingefunden. Sie war mit Sprudel nach Straubing gefahren und hatte ihre Aussage gemacht.
Allerdings nicht bei Marco, sondern bei Kommissaranwärter Schulz. Marco war kurz vor ihrer Ankunft im Präsidium an einen Tatort gerufen worden. Es konnte Stunden dauern, bis er zurückkehrte. So lange hatte Fanni nicht warten wollen. Sprudel hatte nachgegeben, und deshalb hatte Fanni dem jungen Anwärter von ihrer Begegnung mit dem vermutlich toten Roland Becker erzählt und davon, dass der lebendige Becker sich nicht auf der Zellerhütte befand, wie eine sehr wahrscheinlich getürkte Karte glauben machen wollte.
Schulz ließ entschlüpfen, dass Roland Becker betreffend tags zuvor bereits zwei Vermisstenmeldungen bei der Behörde eingegangen waren – eine von Herrn Jonas Böckl und eine von Frau Emilia Bachl. Dann studierte er eine ganze Weile die Notizen, die er sich während Fannis Aussage gemacht hatte.
»Schlimm«, meinte er schließlich, »geradezu verhängnisvoll, dass die Entdeckung, die Sie da auf der Hintertreppe gemacht haben, schon fast eine Woche zurückliegt.«
»Was hätte es denn genützt«, verteidigte sich Fanni, »wenn ich damals die Polizei informiert hätte? Der Pflegedienstleiter hätte energisch dagegengehalten, dass ich mir den toten Pfleger nur eingebildet habe. Das dachten sowieso alle in der Katherinenresidenz. Sobald die Karte eingetroffen war, erst recht. Und vermisst wurde Roland vergangenen Mittwoch ja noch von niemandem – selbst am Donnerstag noch nicht.«
Der Kommissaranwärter wirkte verunsichert, was er mit betont resoluter Stimme zu verhehlen suchte. »Sie hätten auf der Stelle Anzeige machen müssen. Über die Relevanz der gemachten Beobachtung entscheidet in so einem Fall die Polizei und nicht der Bürger, der …«
Bla, bla, bla!
Fanni stand auf. »Dann wollen wir die Polizei bei ihren Entscheidungen nicht weiter stören.«
Kurz nach zehn befanden sich Fanni und Sprudel bereits wieder auf dem Rückweg nach Deggendorf.
»Eigentlich bleibt mir noch ein Stündchen, bevor ich zu Hause an den Herd muss«, sagte Fanni.
Sprudel schaute sie freudig an. »Wie wollen wir das Stündchen nutzen?«
»Ich denke an einen Spaziergang«, antwortete Fanni. »Einen Bummel durch die Zugspitzstraße.«
»Zugspitzstraße«, wiederholte Sprudel verwundert. »Ich habe keine Ahnung, wo die Zugspitzstraße …«
Fanni förderte aus ihrer Handtasche einen Stadtplan zutage. »Hier, das Viertel liegt auf einer Anhöhe im Westen der Stadt: Zugspitzstraße, Wendelsteinstraße … Gut die Hälfte der oberbayrischen Berge ist vertreten – namentlich jedenfalls.«
»Und diese Namen ziehen dich dorthin?«, fragte Sprudel.
Fanni verneinte. »Was mich dort hinzieht, ist ein Eintrag im Telefonbuch, den ich mir gestern Abend herausgesucht habe: ›Erwin und Ida Hanno, Zugspitzstraße
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