Milchrahmstrudel
den Keller, schlüpfte in Jogginghose, T-Shirt und Fleecejacke und erschien eine Minute später neben Hans Rot.
»Ich lauf noch ein Stückchen. Die Luft ist so schön klar. Und es ist ja noch eine gute Stunde hell draußen.«
Hans blickte auf und sah sie einen Moment lang abwägend an. Dann sagte er deutlich verstimmt: »Aber es ist so ein kalter Wind aufgekommen.«
Fanni zog die Ärmel der Fleecejacke über die Hände. »Darauf bin ich eingerichtet.«
Bevor Hans zu einer weiteren Entgegnung ansetzen konnte, machte sie sich davon.
Sie lief den Erlenweiler Ring hinunter, bog in die Hauptstraße ein und kam unter den Fichten, die das Grundstück Erlenweiler Ring 1 zur Hauptstraße hin abschirmten, zum Stehen.
Ein wenig außer Atem zog sie das Handy aus der Tasche, wählte Sprudels Nummer und hoffte, dass er bereits zu Hause war.
»Ich bin gerade zu Fuß auf dem Weg zu dir«, sagte sie, nachdem er sich gemeldet hatte. »Könntest du mir entgegenfahren?«
Wie sie erwartet hatte, fragte Sprudel nicht lange »Wieso? Warum?«, sondern antwortete schlicht: »Selbstverständlich« und legte auf.
Fanni war noch keine fünfzig Meter weiter, als sein Wagen bereits neben ihr hielt.
Sie sprang hinein. »Fahr zu dir nach Hause«, verlangte sie. »Fürs Hütterl reicht die Zeit nicht.«
12
Fanni hatte es sich in Sprudels gemütlichem Wohnzimmer auf der Couch bequem gemacht.
Sprudel schenkte Rotwein für sie ein und füllte auch das Glas auf, das sie beim Eintreten halb voll auf dem Tisch stehen gesehen hatte. Dann stellte er die Flasche ab und schaute sich unschlüssig um.
Fannis Lächeln bewirkte, dass er den Polstersessel auf der anderen Seite des Tisches keines weiteren Blickes würdigte, sich zu ihr aufs Sofa setzte und den Arm um sie legte.
»Marco ist sehr besorgt«, sagte er, »und sehr aufgebracht, denn das Protokoll deiner Aussage ist nie auf seinem Schreibtisch gelandet. Gleich morgen in aller Frühe will er Hanno verhören.«
Sprudel wirkte erleichtert, fast ein wenig aufgekratzt, als wäre der Fall Roland Becker bereits gelöst und Hanno hinter Gittern.
Er begann, Fanni zu küssen. Doch sie entzog sich ihm.
»Sprudel«, sagte sie, während sie beide Hände auf seine Schultern legte und ihn an die Sofalehne drückte. »Was, wenn hinter Hanno ein anderer die Fäden zieht?«
Sprudel runzelte die Stirn. »Kannst du es denn nie genug sein lassen, Fanni?«
Sie ging nicht darauf ein. »Stehen Hanno wirklich all die Möglichkeiten zur Verfügung, die nötig sind, um in der Katherinenresidenz Betrügereien großen Stils zu begehen?«
»Das wird Marco schon herausfinden«, antwortete Sprudel.
Fanni gab nicht auf. »Lass uns doch probehalber einmal annehmen, dass Hanno Rückendeckung von Heimleiter Müller hat und von ihm Instruktionen bekommt.«
»Aber weshalb denn?«, wandte Sprudel ein.
»Weil Müller dazustieß, als ich mit Hanno vor dem Aussegnungsraum stand, in den vermutlich der tote Roland soeben gebracht worden war. Weil Müller als Heimleiter eng mit dem Berufsbetreuer und Anwalt Benat zusammenarbeitet und durch ihn an sämtliche Informationen herankommen kann, die das Vermögen der Senioren in der Katherinenresidenz betreffen. Müller kann womöglich sogar Benats Kontakte zu kommunalen Stellen und so weiter nutzen. Und weil es Müller war, der dafür gesorgt hat, dass ›der Fall Roland Becker‹ schleunigst ad acta gelegt wurde, obwohl er mir gegenüber so getan hat, als wolle er ganz gründlich nachforschen.«
Sie machte eine Pause und wartete auf Sprudels Reaktion, doch der blieb stumm. Da kam ihr ein weiterer Gedanke. »Natürlich käme auch Lex – das ist der Chef von der Verwaltung – als Drahtzieher in Frage. Schließlich geht jedes einzelne Schriftstück über seinen Tisch. Oder Benat selbst …«
Sprudel straffte sich. »Benat zu verdächtigen ist unmoralisch.«
Fanni sah ihn verständnislos an.
»Betreuer im Allgemeinen, aber Berufsbetreuer im Besonderen«, erklärte ihr Sprudel, »genießen einen erstklassigen Ruf. In all den Jahren im Polizeidienst ist mir nicht ein einziges Mal zu Ohren gekommen, dass gegen einen von ihnen wegen Betrügereien ermittelt werden musste. Zudem wird ihre Arbeit vom Gericht überwacht.«
»Wie, überwacht?«, fragte Fanni.
»Soviel ich weiß«, antwortete Sprudel, »müssen folgenschwere Rechtsgeschäfte, die der Betreuer für die hilfsbedürftige Person abschließt, und vermutlich auch größere Entnahmen aus dem Vermögen dieser Person
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