Milchschaum
einem winzigen Plateau, das wie ein Ohrläppchen in Fannis Wäldchen hineinragte.
Nachdem Fanni mit dem Amtsrat zweieinhalb Stunden lang in den Wäldern umhergestreift war, stimmte sie der Baumaßnahme unter der Bedingung zu, dass die Forstbehörde dieses Ohrläppchen (samt Hütte, versteht sich) gegen das Segment eintauschte, das der Wirtschaftsweg aus Fannis Grund und Boden herausschneiden würde.
Und so kam Fanni zu diesem Hütterl.
Nachdem die Wirtschaftswege im vergangenen Herbst fertiggestellt waren, konnte man bis auf wenige Meter heranfahren. Fanni brachte den ganzen Oktober und den halben November damit zu, das Hütterl zu renovieren und einzurichten.
Bevor sie damit anfing, musste sie den Boden bereiten, der Hans Rot von ihrem Tun ablenken sollte; denn Fanni wollte nicht, dass er von ihrem Hütterl erfuhr. Ihr elterliches Erbe verwaltete Fanni ganz allein, je weniger ihr Mann darüber wusste, desto lieber war es ihr – ein kleines Zipfelchen Selbstständigkeit.
Anfang Oktober sagte sie zu Hans Rot: »Wenn ich nicht bald was unternehme, werde ich fett.«
Fanni wog seit ihren Studientagen neunundvierzig Kilo, und das hatte sich nur während ihrer Schwangerschaften kurzzeitig geändert.
Sie ließ sich von dem brüllenden Gelächter ihres Mannes nicht kirre machen. »Ich habe mich entschlossen«, verkündete sie, »ab sofort regelmäßig joggen zu gehen. In Birkenweiler gibt es einen neuen Forstweg, der eine weite Schleife durch den Wald zieht, gerade das Richtige für mich.«
»Meinst du den Wirtschaftsweg, der von EU-Geldern durch den Forstwald gebaut worden ist?«
Fanni nickte zufrieden. Ihr Mann hatte längst vergessen, dass sie dort ein Waldstück besaß.
Hans Rot runzelte die Stirn. »Muss es dieser abgelegene Buckel sein, wo du joggen willst? Lauf halt einen Kreis um Erlenweiler.«
Darauf hatte Fanni bloß abfällig geschnaubt.
»Stur, wie immer«, sagte Hans Rot, verschwand im Keller und kam mit einer Dose Pfefferspray zurück. »Dann nimm wenigstens das mit auf deine Exkursionen.«
Am folgenden Tag hatte Fanni auch Frau Praml das Jogging-Märchen aufgetischt und dann heimlich eine ganze Kiste voll Werkzeug in ihren Wagen gepackt.
Sprudel breitete die Arme aus, als Fanni an der Weggabelung aus dem Auto stieg. Sie lief auf ihn zu, schmiegte sich eine halbe Sekunde lang an ihn, entwischte ihm aber, bevor er sie festhalten konnte, und schulterte ihren Rucksack.
Fanni lotste Sprudel zu einem Trampelpfad, der sie – anders als der Wirtschaftsweg – im direkten Anstieg zum Hütterl führen würde.
Dieser Fußweg war Fannis Werk.
Nachdem sie das Hütterl zu ihrer Zufriedenheit hergerichtet hatte, war sie schier täglich mit dem Auto zu dieser Weggabelung gefahren und dann zu Fuß weitergelaufen. Mit der Zeit hatten ihre Trittspuren einen schmalen Steig geschaffen.
Er führte durch das anfangs flache Waldstück zu einem kleinen Rinnsal, querte es und stieg dann leicht an. Ein bemooster Felsbrocken markierte die Stelle, wo der Pfad einen Knick machte, einige Meter weit südlich verlief und dann Richtung Osten zu einer Gruppe stämmiger Fichten zurückkehrte. Fanni hatte auf diese Weise eine sumpfige Mulde unterhalb des Felsens umrundet. Hinter den Fichten begann der Pfad dann steil bergwärts zu steigen – sehr steil. Dort, wo er in das Plateau mündete, auf dem das Hütterl lag, musste man sich an jungen Bäumen und Farnbüscheln festhalten, um die Kante überwinden zu können.
Das Hütterl stand in der südwestlichsten Ecke des Plateaus, auf dem sich der Wald sehr licht zeigte. Fannis Fußweg lief quer über die Ebene wie ein Vektor auf die Eremitage zu.
Wenn sie es darauf anlegte, konnte Fanni den Anstieg von der Weggabelung zum Hütterl in einer halben Stunde schaffen, wobei sie allerdings gehörig außer Atem geriet. An diesem frühlingshaften Donnerstag brauchten sie und Sprudel doppelt so lang dafür.
Nach dem ersten, noch recht ebenen Drittel des Wegstücks kannte Sprudel das Ziel ihrer kurzen Wanderung und die Umstände, die Fanni in den Besitz des Hütterls gebracht hatten. Sie hatte ihm alles erzählt, ohne ein einziges Mal stehen bleiben und verschnaufen zu müssen.
Auf dem Marsch durch das zweite Drittel, das sanft anstieg, erfuhr Fanni, weshalb Sprudel keine Ahnung davon gehabt hatte, dass ein Teil seiner Wurzeln in Birkenweiler lag.
»In dem kleinen Dorf zwischen Rosenheim und Kufstein, in dem ich aufgewachsen bin, hatte ich mehr Verwandte, als ich zählen konnte«,
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