Miles Flint 03 - Die Tödlichen
Mondbanken unterhielt, und mit der Emmeline wegzufliegen, zu fliegen, wo auch immer er hinwollte. Er könnte den Rest seines Lebens reisen, könnte sich neue Orte suchen, an denen er leben wollte, könnte Abenteuer erleben, die ihn für alle Zeiten von Armstrong ablenken würden.
Wenn er denn so ein Mensch wäre.
Flint hob den Kopf. DeRicci hatte ihren Wagen erreicht.
Nun stand sie davor und starrte ihn an, als würde sie ihn überhaupt nicht sehen.
Sie hatte die Veränderung in ihrer Beziehung gespürt. Hatte sie auch seine Warnung verstanden? Denn wenn er blieb, so würde er kämpfen, und er würde nicht vor schmutzigen Tricks zurückschrecken. Er kannte ihre Schwächen besser als sie die seinen.
Er würde überleben, wenn er die Chance dazu hatte. Und er würde alles tun, was dazu notwendig wäre.
Diese Seite seiner selbst hatte er schon vor langer Zeit kennengelernt. Er war zu einer Rücksichtslosigkeit fähig, die die meisten Leute niemals von ihm erwartet hätten. Eine Rücksichtslosigkeit, die es ihm gestattete, den Verlust seiner Tochter und seiner Frau zu überleben, und die ihn überhaupt erst befähigt hatte, gegen manche Gesetze von Armstrong zu verstoßen.
Eine Rücksichtslosigkeit, die es ihm ermöglicht hatte, in DeRiccis Gegenwart einen Chip von seinem Schreibtisch zu nehmen, in seiner Hand zu verstecken und dazu zu benutzen, die Karte zu löschen, die DeRicci ihm gegeben hatte. Er hatte die Informationen auf allen drei Chips dieser Karte vernichtet.
Übrig gelassen hatte er das Wasserzeichen und die handschriftliche Zahl, obwohl er auch diese Hinweise hätte löschen können. Aber noch bevor DeRicci ihm davon erzählt hatte, hatte er sich überlegt, dass sie vermutlich einen Eintrag in ihrem persönlichen Tagebuch angelegt hatte.
DeRicci war ein guter Detective, und sie ging stets mit akribischer Sorgfalt vor.
Flint wollte sie gewiss nicht auf dem falschen Fuß erwischen.
Endlich öffnete sie die Wagentür und stieg ein. Dann lehnte sie den Kopf ans Steuer.
Sie wusste es. Sie wusste, wie kompliziert das alles werden musste.
Aber sie wusste nicht, wie tief er in diese Sache verstrickt war. Dass er über sechs Monate lang für die Lahiris gearbeitet hatte, dass er ihre Tochter gefunden hatte, dass er die Familie wieder zusammengeführt hatte – an einem öffentlich zugänglichen Ort.
Hatte sie all das erst herausgefunden, musste sie gegen ihn ermitteln – nicht notwendigerweise wegen Mordes, aber wegen Beihilfe. Ganz besonders, falls es ihr gelingen sollte nachzuweisen, dass die Lahiris nur hatten sterben müssen, weil Carolyn in ihr altes Leben zurückgekehrt war.
Flint lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und starrte die Zimmerdecke an. Ihn plagte der überwältigende Wunsch, mit Paloma zu sprechen, aber er war klug genug, das nicht zu tun. Er hatte im letzten Jahr gelernt, niemandem zu vertrauen, nicht einmal seiner Mentorin.
Wollte er diese Sache durchstehen, durfte er sich nur auf sich selbst verlassen.
16
D er Hochgeschwindigkeitszug brachte Soseki binnen fünfunddreißig Minuten von Armstrong nach Littrow. Littrow lag gleich jenseits des Montes Taurus und war die von Armstrong aus nächste Kuppel. Der Regierungsrat des Mondes hatte seinen Sitz in Littrow, ein Umstand, der die Bürger von Armstrong schon seit der Vereinigung der Mondkuppeln ärgerte.
Ein Luftwagen hatte bereits auf Soseki gewartet, als er aus dem Zug ausgestiegen war, und ihn direkt zur Gouverneursvilla gebracht. Die Villa stand genau in der Stadtmitte, gerade einen Block von den Regierungsbüros und zwei Blocks vom Sitzungsgebäude des Rates entfernt. Die Villa war – wie so viele andere Bauwerke in Kuppelstädten auch – aus einer betonähnlichen Substanz erbaut worden, die ans Mondregolith gewonnen wurde. Da aber der Regolith im Taurus-Littrow-Tal der dunkelste auf dem ganzen Mond war, war dieses Gebäude nicht grau wie die meisten Betonbauten aus Mondmaterial, sondern beinahe schwarz.
Angesichts der Villa kam Soseki sich furchtbar klein vor. Er hasste es, den prunkvollen Weg neben dem dichten grünen Rasen (gepflanzt vor Jahrhunderten, gepflegt mit äußerster Sorgfalt) hinauf zu der großen Eingangstür zu schreiten. Genau in der Mitte dieser Tür – und damit knapp über seinem Kopf – prangte ein altmodischer Messingklopfer, importiert aus einem berühmten Gebäude der Erde, und von jedem Besucher der Villa wurde erwartet, diesen Klopfer zu benutzen.
Soseki widerte es an, diesen
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