Miles Flint 04 - Das Marsgrab
Geheimnisse vor ihr gehabt. Im Lauf der Jahre war ihr bewusst geworden, dass sie Flint nie wirklich gut kennen würde. Erst als er während seines letzten Falles beinahe umgekommen wäre, hatte sie erkannt, wie sehr sie die Freundschaft mit ihm schätzte, ob sie seine Geheimnisse nun kannte oder nicht.
Ein Kellner trat an ihren Tisch. Der Hunting Club überprüfte seine Angestellten auf Herz und Nieren und zahlte kolossale Gehälter, um sie gegen Korruption zu immunisieren (theoretisch), und der Club forderte von seinen Mitarbeitern, dass sie keinerlei Links benutzten. DeRicci hasste ihre Links – sie war mehr als einmal in Schwierigkeiten geraten, weil sie sogar ihre Notfalllinks deaktiviert hatte, etwas, das ihr inzwischen verboten war – andererseits konnte sie sich auch nicht vorstellen, ohne diese verhassten Dinger auskommen zu müssen.
Der Kellner ratterte seine Liste mit Tagesangeboten herunter, bot Getränke feil und nahm ihre Bestellung entgegen, indem er alles auf einem Stück Papier notierte – eine der ineffizientesten und kostspieligsten Vorgehensweisen, die DeRicci je begegnet waren. Das Dinner ging selbstverständlich auf Flints Kosten – nicht einmal DeRicci mit ihrem hohen Gehalt und drei hanebüchenen Bonuszahlungen konnte sich ein durchschnittliches Abendessen in diesem Etablissement leisten.
Als der Kellner gegangen war, seufzte DeRicci. »Weißt du, was die mir heute angeboten haben?«
»Wer?«, fragte Flint.
»Vor allem die Generalgouverneurin im Namen der Vereinigten Mondkuppeln.« DeRicci war immer noch ganz benommen, wenn sie daran dachte. Sie konnte einfach nicht fassen, dass derart illustre Leute mit ihr hatten sprechen wollen, umso weniger, dass sie mit ihr zusammenarbeiten wollten.
»Was haben sie dir angeboten?«, erkundigte sich Flint.
»Sie wollen mich als Erste in ein vollkommen neues Amt berufen«, sagte sie. »Ich soll Leiterin der Mondsicherheit werden. Ich müsste festlegen, nach welchen Maßgaben bei der Verteidigung der Kuppeln vorgegangen würde, mich mit den Sicherheitschefs der einzelnen Kuppeln absprechen und …«
»Die Kuppeln haben jetzt Sicherheitschefs?« Flint hörte sich überrascht an.
DeRicci schüttelte den Kopf. »Die wären auch neu und würden den VM unterstehen, nicht den einzelnen Kuppelverwaltungen. Nach den beiden Angriffen auf Armstrong ist der VM-Rat zu dem Schluss gekommen, dass es nur eine Frage der Zeit sein dürfte, bis es auch in anderen Kuppeln zu massiven Sicherheitsproblemen kommen müsse, und es folglich an der Zeit sei, die Sicherheitsmaßnahmen zu koordinieren.«
Der Kellner kehrte zurück und trug ihre Getränke auf einem Tablett. Flint hatte echten Kaffee bestellt, gebraut aus von der Erde importierten Bohnen. Seine Sache, wenn er sich einem Stimulans hingeben wollte, statt auf etwas Beruhigendes zurückzugreifen. DeRicci hatte überlegt, sich einen Wein zu bestellen, hatte sich aber dann doch mit Wasser begnügt.
Sosehr sie den widerstreitenden Gefühlen dieses Tages entfliehen wollte, sosehr brauchte sie doch einen klaren Kopf. Flint war einer der wenigen Menschen – vielleicht der einzige Mensch –, dem sie vertrauen konnte, und sie musste sich mit wachen Sinnen anhören, was immer er ihr zu sagen hatte.
»Darum ging es also bei dieser ganzen Pressekonferenz?«, fragte Flint. »Das war alles nur eine Ausrede, damit diese ganzen Bürgermeister, Ratsmitglieder und nicht zu vergessen unsere Generalgouverneurin mit dir unbemerkt plauschen können?«
DeRicci zuckte mit den Schultern. »Mich überrascht das genauso sehr wie dich. Vielleicht sogar mehr als dich.«
Wahrscheinlich sogar mehr als ihn. Niemand hatte ihr etwas von der Verleihungszeremonie erzählt. Kaum dass sie die Polizeizentrale hinter sich gelassen hatte, hatte sie den Silbermond von ihrem Revers genommen und ihn zurück in seine kleine Schatulle verfrachtet. Sie lehnte es zutiefst ab, dafür ausgezeichnet zu werden, dass sie weiter nichts als ihren Job getan hatte, umso mehr, wenn diese ihre Arbeit mit dem Verlust unzähliger Menschenleben einherging.
Sie hatte sich ihrer eigenen Ansicht nach während desMondmarathons nicht besonders erfolgreich geschlagen, gleich, was Soseki öffentlich behaupten mochte. Schließlich waren eine Menge Leute an diesem Tag ums Leben gekommen. Und DeRicci hatte, so fand sie, in dem Bombenfall auch nichts wirklich Positives erreicht. Es gab immer noch keinen Verdächtigen, und nach wie vor war kein Motiv bekannt, dass jemanden
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