Miles Flint 05 - Paloma
geglaubt – und wer wollte es ihm auch verübeln? Sie hatte nicht immer an die Folgen dessen gedacht, was sie getan hatte. Sie hatte sich eingebildet, hinter der Story müsse alles andere zurückstehen – dass, wenn die Story, die Wahrheit, wie immer sie aussah, erst ans Licht käme, die Leute schon keine Einwände gegen die Art erheben würden, wie sie sie aufgedeckt hatte.
Wie falsch sie gelegen hatte, hatte sie auf die harte Tour lernen müssen. Die Wahrheit beeindruckte niemanden, hätte Bowles aber beinahe ihren Job gekostet.
Was ihr zweifellos zu denken gegeben hatte.
»Ich habe keine Zeit, mich mit Ihnen abzugeben«, sagte er und schob sich an ihr vorbei. »Verschwinden Sie!«
Er roch ein wenig nach Schweiß und noch etwas anderem, etwas, das einen vage fauligen Eindruck erweckte. Und seine Hosenbeine waren von feinem Schmutz überzogen, der aussah wie Mondstaub.
Ihr Magen verkrampfte sich. Etwas ging hier vor. Etwas Wichtiges. Vielleicht entwickelte sich hier gerade die Story, auf die sie gewartet hatte.
Aber sein Gesicht sah wirr und traurig aus. Und verängstigt.
Und verwegen.
Etwas war geschehen. Etwas Schreckliches. Aber wenn sie nun versuchte, in ihn zu dringen, wäre sie wieder genau da, wo sie gerade vor kurzer Zeit gewesen war. An einem Punkt, an dem sie ihrem Bauchgefühl gehorcht und alle anderen Leute um sich herum einfach ignoriert hatte.
Er hatte sie gebeten zu gehen.
Und das würde sie tun, sobald sie herausgefunden hatte, wohin der Weg führte.
9
F lint blieb direkt vor der Emmeline stehen. Er konnte sich nicht überwinden, die Luke zur Jacht zu öffnen, ehe Ki Bowles gegangen war.
So kleinlaut hatte er sie noch nie erlebt. Selbst ihre Kleidung war plötzlich erstaunlich dezent – dunkle Hose, dunkler Sweater und keine, gar keine Schals. Ihr Haar war rotblond, eine Farbe, die zu ihr passte und in deren Rahmen sich die schmückenden Tätowierungen auf ihrem Gesicht wie Radierungen ausmachten.
Sie klemmte sich eine Tasche vor die Brust und stierte ihn an, als könne sie nicht recht glauben, dass er hier war.
»Gehen Sie«, sagte er erneut.
Sie nickte, senkte den Kopf und verließ das Dock, ging den langen Hafentunnel hinunter und zurück zum öffentlichen Teil des Gebäudes.
Sie verhielt sich sonderbar. Wenn sie gekommen war, um ihn nach Paloma zu fragen, dann hätte sie ihm eine ganze Reihe von Fragen gestellt, aber das hatte sie nicht. Sie hatte sich verhalten, als wisse sie überhaupt nichts darüber.
Hatte Nyquist den Medien die Information vorenthalten? Oder war es Ki Bowles nicht gelungen, wieder in die Liste der wichtigsten Reporter von InterMedia aufgenommen zu werden? Nach diesen widerlichen Storys über DeRicci hatte man sie degradiert. Reportagen, die, zumindest soweit Flint sie gesehen hatte, DeRicci als niederträchtig und rachsüchtig dargestellt hatten, zwei Vokabeln, die er nie benutzt hätte, um sie zu beschreiben.
Er wartete, bis er Bowles nicht mehr sehen konnte, bevor er zum Schiff ging, die Leiter emporkletterte, die zur Hauptluke führte, und seine Handfläche dagegendrückte.
Während seiner Reise hatte er die Sicherheitsmaßnahmen noch weiter verschärft. Die Luke arbeitete jetzt auf Basis eines Handflächenscans (von lebendigem Gewebe), eines DNA-Scans und eines Retinalscans. Einmal in der Luftschleuse, schloss sich eine Stimmerkennung an. Danach musste er noch zwei weitere Sicherheitsmaßnahmen durchlaufen, ehe er das Schiff selbst betreten konnte.
Eine Weile hatte er geglaubt, die Emmeline sei sein einziges Zuhause, und er wollte, dass sie so sicher wie irgend möglich war. Als er wieder nach Armstrong zurückgekehrt war, waren ihm die Vorsichtsmaßnahmen ein wenig albern erschienen. Doch jetzt, da er ausgerechnet Ki Bowles vor seinem Schiff angetroffen hatte, zweifelte er nicht mehr an seiner Vorgehensweise.
Die Tür hatte die Scans abgeschlossen und öffnete sich mit einem leisen Zischen. Er betrat die Luftschleuse, und die Luke schloss sich hinter ihm. Dann sagte er seinen Namen, damit das System seine Stimme überprüfen konnte, speiste zwei verschiedene Codes in die Systeme der inneren Tür auf der anderen Seite ein und sah zu, wie sich auch diese öffnete.
Er betrat die Emmeline. Normalerweise entspannte er sich stets in dem Moment, in dem sich die Luke der Luftschleuse hinter ihm schloss. Heute nicht. Er schaffte es nicht.
Das Bild von Palomas zerstörtem Leichnam wollte sich nicht aus seinem Geist vertreiben lassen.
Er nahm den
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