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Millionär

Millionär

Titel: Millionär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommy Jaud
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tatsächlich: Das lärmende Special-Effects-Dreigestirn der Abfallwirtschaftsbetriebe nähert sich mit seinem wöchentlichen Laubfeuerwerk.
    »Strüüßjer! Kamelle! Der Zoch kütt!«, salutiere ich laut. Die Studenten reagieren wider Erwarten und mustern mich mit müdem Blick.
    »Shahin, komma! Das musste sehen!« Ich winke meinem Web-Perser, woraufhin dieser sich mühsam aufquält und sich zu mir ans Fenster stellt.
    »Hier, Shahin! Du hast mich doch mal gefragt, was Impro-Comedy ist. Das isses!«
    »Die Laubpuster?«
    »Genau! Komma mit!«
    Wir gehen nach draußen, um das städtische Laubbläser-Impro-Terzett Lolek, Bolek und Holek besser beobachten zu können. Zentimeterweise arbeitet sich die orange Truppe in Richtung WebWorld, bläst Milchtüten AUS Türeingängen, bunte Werbe-prospekte IN Türeingänge und leere Kippenschachteln AN Türeingängen VORBEI. Die Ausbildung dieser Papierpuster muss knallhart sein: Ich tippe auf mehrmonatige Camps im pakistanischen Hochland, wo sie mitten in der Nacht mit eiskaltem Wasser geweckt werden und dann stundenlang nackt und ohne Licht den Sportteil vom Pakistanischen Tageblatt von links nach rechts blasen müssen.
    Toll, wie Anbläser Bolek bereits zusammengekehrtes Laub mit seinem 45er Kärcher in hohem Bogen wieder auf Gehweg und Straße verteilt! Sensationell, wie Lolek zeitgleich mit einem noch leistungsstärkeren Laubbläser telefonbuchdicke Stapel von Werbe-Prospekten an die Fassaden drückt und synchron dazu ins Schaufenster eines Jonglierladens gafft. Höhepunkt des mit Steuergeldern geförderten Müllspektakels ist dann einmal wieder die lärmende Vorbeifahrt von Prinz Holek in seinem orangenen Rüsselmobil, mit dem er das Laub, das seine Kollegen versehentlich auf die Straße gepustet haben, stolz wieder auf den Gehweg befördert.
    Ich klatsche und jubele ihnen zu: »Gute Arbeit, Jungs! Da drüben neben dem Stromkasten liegt noch 'n halber Döner mit scharf!«
    Der arrogante Prinz Holek zeigt mir seinen Mittelfinger und fährt ungerührt weiter. Wahrscheinlich ist ihm die Blasleistung seines Plastikrüssels zu Kopf gestiegen.
    »Die machen aber mehr schmutzig als sauber«, staunt nun auch Shahin.
    »Eben!«
    »Da musst du mal eine Mail schreiben.«
    »Eine Mail? An die Abfallwirtschaftsbetriebe?«
    »Du schreibst doch sonst so viele.«
    »Müllmänner lesen keine Mails, Shahin. Müllmänner werfen eventuell mal ein paar Tastaturen zum Elektroschrott oder reißen sich einen Monitor unter den Nagel, aber näher kommen die thematisch ans Internet nicht ran!«
    Ein wenig mitleidig schaut Shahin mich an, dann deutet er auf sein Vermessungs-Buch.
    »Ich glaube, ich geh jetzt wieder rein, Simon.«
    Ich find's unfassbar. Die städtischen Müll-Clowns dürfen mit ihren tragbaren Airbus-Triebwerken um sieben Uhr morgens Wohngebiete terrorisieren, aber wenn ich abends eine Minute nach acht neben der lautesten Kreuzung Kölns behutsam den Express ins Altpapier gleiten lasse, dann kriege ich ein Bußgeld wegen Ruhestörung. Wie kann das die Leute nur so kalt lassen? Warum bin ich denn immer der Einzige, der sich aufregt, der was sagt, der was macht? Was ist nur los mit den Deutschen? In Frankreich brennen sofort hundert LKW auf der Autobahn, wenn der Staat auch nur daran denkt, die Baguettesubventionen zu streichen. Bei uns könnte man von heute auf morgen Linksverkehr einführen und 'ne Ausgangssperre und alle würden nur mit den Schultern zucken und sagen: Doof, jetzt muss ich früher nach Hause .
    »Shahin, du musst dich auch endlich mal mehr aufregen!«, rufe ich ihm zu.
    »Warum?«
    »Ja, ist dir das egal, wie's vor deinem Laden aussieht?«
    »Natürlich nicht. Aber was will ich denn groß machen?«
    »Schon verstanden. Hat halt alles seine Ordnung. Sogar die Unordnung. Ich sag dir mal was, Shahin: Du bist schon deutscher als wir alle zusammen! Und ich sag dir noch was; du bist überintegriert, bist du schon!«
    »Ich bin über-integriert?«
    »Genau! Warte mal ab: bald fährste einen Benz mit Klorollenhut hinten drin und gehst nicht mehr ans Telefon, wenn die Tagesschau läuft.«
    »BMW, Simon. Nicht Mercedes. Und ich schau immer das heute-journal.«
    Verärgert setze ich mich wieder an Platz Nummer 7 und schaue mein gelbes Buch nach Notizen vom Vortag durch. Fast halb zehn ist es schon und ich hab noch nichts gearbeitet. Jetzt heißt es ranklotzen!
    Ich beginne mit einer Mail an Sony Ericsson, in der ich darauf hinweise, dass das Handywörterbuch des K610i weder

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