Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: River
Vom Netzwerk:
aufstand, sich am Sideboard zu schaffen machte und das Brot aufschnitt.
    »Heißt das, du wirst kein Priester?«, fragte Morgan.
    »Nein, Morgan«, lautete Boyers keineswegs unwirsche Antwort, »ich werde kein Priester.«
    »Vermute mal, das heißt, dass du jetzt Natalie heiraten kannst, wie?«, schaltete sich Carl ein und versetzte Morgan einen Stoß in die Rippen.
    »Na klasse!«, lachte Morgan und rempelte zurück.
    Ich war einfach nur froh zu hören, dass Boyer nicht fortging. Dass alles so bleiben würde, wie es war. Ich streckte meinen Brüdern über den Tisch hinweg die Zunge heraus, während Boyer mir durch die Haare wuschelte und sagte: »Natalie bleibt immer meine Freundin.«
    Selbst nachdem ich in die erste Klasse gekommen war, ging ich oft hinauf in Boyers Zimmerchen auf dem Dachboden, um zu lesen und sein Pennywörterspiel zu spielen.
    Das Spiel hatte damit begonnen, dass ich für einen Penny einfache Wörter buchstabierte. Je älter ich wurde, desto länger wurden auch die Wörter. Irgendwann einmal fügte Boyer Zehnpennywörter hinzu, schwierige und ungewöhnliche Wörter, die ich nicht nur buchstabieren, sondern auch erklären musste. Im Laufe der Jahre, als wir längst über solche kindlichen Spiele hinausgewachsen waren, war es nach wie vor eine Herausforderung für uns beide, Wörter zu finden, die der andere nicht kannte.
    In meiner Kindheit verbrachte ich die meisten Abende an seinem selbst gezimmerten Schreibtisch, während der Rest der Familie zwei Stockwerke tiefer vor dem Fernseher saß.
    »Lass dich nicht von dieser kleinen Kiste einfangen, Natalie«, sagte Boyer, als das Fernsehgerät im Wohnzimmer Einzug hielt.
    Seine Warnung war unnötig. Ich konnte mich nie für die Kindersendungen erwärmen, die Morgan und Carl so liebten.
    In Boyers Speicherzimmerchen zu sitzen, umgeben von seinen Büchern, und Wörter gegen Pennys zu buchstabieren oder zu lesen, während er lernte, das war ein Privileg. Seiner Stimme zu lauschen, wenn er mir aus Pu baut ein Haus und Heidi vorlas, bedeutete mir mehr als alle Bilder, die im abgedunkelten Wohnzimmer flackerten.
    Dank Boyer konnte ich lesen, bevor ich mein erstes gelbes Dick-and-Jane -Lesebuch bekam. Unglücklicherweise glaubte ich, dass alle anderen es ebenfalls könnten. Eine meiner frühesten Erinnerungen kreist um meine Erstklasslehrerin Mrs. Hammet, wie sie Bonnie King aufforderte, daraus vorzulesen.
    Bonnie stand auf und stellte sich neben ihre Bank. Sie starrte angestrengt in ihr offenes Buch, bis sie endlich zu stammeln begann: »S-sch-schau, S-Sa-Sally …«
    Elizabeth-Ann Ryan saß in der Bank vor mir. Ich bewunderte sie – einzig und allein dafür, dass sie ein phantastisches Kästchen mit sechzehn Crayola-Buntstiften besaß – und wollte bei ihr Eindruck schinden. Ich tippte ihr auf die Schulter, beugte mich vor und flüsterte: »Ist sie nicht blöd?«
    Mrs. Hammet beendete Bonnies umständliche Leserei und wandte sich an mich: »Natalie Marie Ward, aufstehen!«
    Ich glaubte, sie würde mich nun auffordern, zu lesen und Bonnie zu zeigen, wie die Wörter zu klingen hätten. Ich ergriff mein Buch und stand auf.
    »Jetzt verrate uns, Natalie, was du soeben zu Elizabeth-Ann gesagt hast«, verlangte die Lehrerin.
    Das stolze Lächeln verschwand aus meinem Gesicht. Ich zögerte und wiederholte dann mit zittriger Stimme meine in vier Wörtern zusammengefasste Meinung über Bonnies Lesekünste. Das ganze Klassenzimmer kicherte und gickelte. Ich sah hinüber zu Bonnie, die rot angelaufen war, aber das Kinn hochreckte und mich wütend anfunkelte.
    »Komm nach vorne, hierher, vor die Klasse«, sagte Mrs. Hammet mit rauer Stimme. Ich nahm mein Lesebuch, weil ich immer noch glaubte, ich würde zum Vorlesen aufgefordert. »Lass dein Buch liegen«, sagte sie, als sie um ihr Pult herum nach vorn ging und sich dabei ihr Holzlineal schnappte.
    Ich hielt meine Hände auf dem Rücken, während ich mit gesenktem Kopf vor ihr stand. Ich konnte das ungeduldige Klopfen des Lineals gegen ihre offene Hand hören. »Handflächen nach oben!« Augenblicke später sah ich zu, wie das verschwommene Schwarz der Zollstriche auf dem Lineal je dreimal auf meine beiden zitternden Hände herabsauste, während die übrige Klasse, einschließlich Elizabeth-Ann Ryan, hinter ihren Büchern kicherte.
    Die Nachricht von meiner Bestrafung drang nicht bis zu meinen Eltern vor. Aber Boyer blieb fast nichts verborgen. So war es eben mit meinem Bruder. Wenn er mich ansah, hatte ich

Weitere Kostenlose Bücher