Milner Donna
bescheuerte Spiel des anderen stritten. Sie waren erbarmungslose Konkurrenten und keineswegs über eine Wette auf ihre Spiele erhaben. Hin und wieder erschien Dr. Mumford zur Sonntagsmesse. Er saß dann mürrisch, mit verschränkten Armen in einer der hinteren Reihen der Kirche. Zähneknirschend nahm er es hin, dass Father Mac ihn am Ende des Gottesdienstes als Gast im Schoße der Gemeinde willkommen hieß.
Einmal im Monat fuhren Mom und Dad am Abend in die Stadt, um mit den beiden Bridge zu spielen. Und an vielen Sonntagen kam Father Mac zu uns zum Abendessen.
Ihm fehlte es nicht an Einladungen zum Essen. Doch es war unser Tisch, dem der Priester am häufigsten die Ehre gab. »Es liegt an meinem Roastbeef und dem Yorkshire-Pudding«, ließ Mom jeden wissen, der an seiner Vorliebe zweifelte. Dad meinte, der eigentliche Grund sei, dass sie sich nach dem Abendmelken am Sonntag im Fernsehen immer Bonanza ansahen, die Lieblingssendung des Priesters. »Ich meine, Father Mac glaubt allmählich selbst, dass die Leute recht haben, wenn sie behaupten, seine Stimme klinge wie die von Lorne Greene, ›nach Jüngstem Gericht‹«, frotzelte Dad.
Eines Sonntagabends, es war kurz vor meinem sechsten Geburtstag, stand ich sehnsüchtig wartend in der Tür zum Wintergarten. Ich spähte aus dem Fenster in der Hoffnung, Boyer und Father Mac auftauchen zu sehen. Hinter mir machten es sich Mom, Dad, Morgan und Carl schon vor dem Fernseher bequem. Plötzlich hörte ich, wie Morgan fragte: »Mom, wird Boyer einmal Priester?«
Priester? Boyer ein Priester? Ich wusste sehr wenig über Priester, aber sicher war, dass sie allein lebten und keine Familie hatten.
Bevor Mom antworten konnte, drehte ich mich um und platzte heraus: »Boyer kann kein Priester werden, weil er mich heiratet!«
Morgan warf sich gegen die Couchlehne und kreischte los: »Du Dummkopf, du kannst doch nicht deinen Bruder heiraten!« Er versetzte Carl einen Stoß in die Rippen. Carl wälzte sich auf dem Sofa und hielt sich den Bauch. »Nein so was«, quietschte er, »den eigenen Bruder heiraten!«
Mom beugte sich in ihrem verstellbaren Lehnstuhl vor. »Jungs!«, rief sie kopfschüttelnd. Was für ein Gesicht sie machte, konnte ich nicht erkennen. Neben ihr saß Dad in seinem Lehnstuhl, und blauer Rauch stieg aus der Zigarette auf, die an seiner Lippe klebte. Er starrte wortlos auf den Bildschirm.
In meiner Panik lief ich zu meiner Mutter. »Ist das wahr?«, wollte ich unbedingt wissen.
»Na ja, es stimmt, dass Boyer sich mit Father Mackenzie über viele Dinge unterhält«, sagte sie. »Aber bis zu einer Entscheidung darüber, ob er Priester wird, ist es noch ein weiter Weg.« Sie lächelte und zog mich auf ihren Schoß. »Und ja, es ist wahr, dass Brüder und Schwestern einander nicht heiraten. Aber egal, was auch geschieht, Boyer wird immer dein Bruder sein. Er wird immer zur Familie gehören und dich lieb haben.«
Meine Brüder zappelten immer noch auf der Couch herum und versuchten, ihren hysterischen Anfall zu bezwingen. Keiner von den beiden ließ mich je vergessen, wie albern die Idee war, Boyer zu heiraten.
Abgesehen von diesem einen Mal ist das Thema, dass er Priester werden könnte, in unserer Familie nicht mehr offen angesprochen worden. Ich erzählte Boyer nichts davon. Ich hatte wohl Angst, dass er mir sagen würde, es sei wahr.
Eines Nachmittags, im Frühling meines ersten Schuljahrs, saß ich auf den Stufen zu Boyers Zimmer und wartete darauf, dass Father Mac ging. Das Gemurmel ihrer Stimmen sickerte in den Flur herab. Ich fing gelegentlich ein Wort auf wie »Verpflichtung« und »Berufung«. Nach einer Weile hörte ich, wie Father Mac Boyer etwas fragte. Ich konnte nicht alles verstehen, bekam aber die letzten Worte mit: »… als eine Entschuldigung, um vor der realen Welt zu flüchten?« Dann ging Boyers Tür auf. Ehe der Priester die Treppe herunterkam, sagte er: »Du wirst mit diesen Gefühlen allein kämpfen müssen, mein Sohn. Aber nicht im Seminar!« Seine Stimme klang freundlich, doch ich konnte die Bestimmtheit aus seinen Worten heraushören.
Ein paar Wochen später fragte Morgan beim Abendessen, wo denn der Priester abgeblieben sei. Boyer gab mit leiser Stimme bekannt, dass er kein Ministrant mehr sei.
Mein Vater konnte sich das Lächeln kaum verkneifen. Schwerer war es schon, aus meiner Mutter schlau zu werden. Ich war mir nicht sicher, ob es Traurigkeit oder Erleichterung war, was ich in ihren Augen sah, als sie Boyer zunickte, dann
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