Milner Donna
herauskletterte. Im Dezember hält sich die Landschaft gewöhnlich unter einer hohen Schneedecke versteckt, und man kann sich dann schwerlich vorstellen, dass es unter dem endlosen Weiß noch irgendetwas gibt oder dass die Felder und Gärten jemals wieder grün werden. Die Kühe laufen dicht am Stall in einem braunen, mit Schneematsch vermischten Morast herum, der zur Düngerweide wird. Doch wenn man Mom zuhört, wie sie die Szene beschreibt, kann man leicht verstehen, warum sie ihren ersten Eindruck von der Farm romantisierte.
»Es war wie auf einer Weihnachtspostkarte«, sagte sie. »Der Schnee lag schwer auf den Zweigen der Bäume, er rollte vom Stalldach herunter wie dicker Zuckerguss. Große Flocken rieselten lautlos herab und bestäubten die Rücken der Kühe und Pferde. Eine Rauchfahne stieg aus dem Backsteinkamin des Farmhauses empor. Es war schön …« Sie sann ihren Worten nach. »In der Molkerei kam mir der Geruch nach Sahne, nassem Beton und Reinigungsmitteln ebenso vertraut vor wie heute.«
»Bist du dir sicher, dass es nicht der Kuss war, den ich mir raubte, als die Tür hinter uns zuging?«, frotzelte mein Vater.
Mom überhörte das. Während sie Dad durch das Labyrinth schulterhoher Schneewehen zum Farmhaus folgte, habe sie – so fuhr sie fort – mit Sicherheit gewusst, dass sie gleich ihren künftigen Schwiegereltern begegnen werde.
Jetzt tauchte Dad hinter Mom auf und legte ihr die Arme um die Taille. »Und das war unser Glückstag«, sagte er. »Damals schien die Sonne richtig herum – was, Nettie?«
Ich sah in Moms Augen etwas wie Bedauern aufblitzen, als Dad sie in die Arme nahm. Es war da und so schnell wieder verschwunden, dass ich glaubte, ich hätte es mir nur eingebildet. Ich konnte nicht sagen, ob River es auch bemerkt hatte, weil er, als ich zu ihm hinübersah, seine Fingernägel betrachtete.
Während Dad eine misstönende Version von It Had To Be You sang, runzelte Mom in gespielter Verzweiflung die Stirn. »Ach, Gus«, seufzte sie, »natürlich war es so.«
18
Nettie
S IE STEHT AM T OR. Ein staubbedeckter Lastwagen rollt die unbefestigte Straße herauf und fährt unter dem Schild »Wards Milchfarm« durch. Er biegt mit seiner sperrigen Fracht in den Hof ein. Beine aus Ahornholz, in die Birds-Eye-Muster geschnitzt sind, und Fußpedale ragen unter den abgesteppten Umzugsdecken hervor. Nettie erkennt das Klavier, ein Hochzeitsgeschenk ihrer Eltern. Es ist dasselbe Klavier, mit dem sie aufgewachsen ist, an dem sie ihren Unterricht erhalten und jeden Tag gespielt hat, im Haus ihrer Kindheit, in Victoria.
»Hätte wahrscheinlich ein neues kaufen können für das, was der Transport gekostet hat«, flüstert Gus ihr ins Ohr. Nettie lächelt.
Gus legt ihr die Hände über die Augen und führt sie neben das Farmhaus. Seine erste Überraschung an diesem ihrem Hochzeitstag. Er zieht seine Hände weg, damit sie den Rosengarten sehen kann. Es ist weniger das Hochzeitsgeschenk, das sie erfreut, als vielmehr die Idee dahinter. Die Tatsache, dass dieser pragmatische Mann im Geheimen so schwer geschuftet hat, um ihrem zweiten Vornamen einen romantischen Tribut zu zollen, treibt ihr die Tränen in die Augen.
Hochzeitsgäste versammeln sich.
»Na ja, auch unter Aufbietung aller Phantasie ist er kein Gärtner«, sagt Mama Cooper. »Als Gus anfing, einen kleinen Streifen Land zwischen dem Haus und der Molkerei umzugraben, haben Manny und ich uns überlegt, was er wohl vorhatte. Wir haben ihn beobachtet, wie er eine Schubkarre voll Mist nach der anderen von dem Haufen hinter dem Stall mit Erde vermischte. Allmählich habe ich schon geglaubt, er hätte den Verstand verloren. Schließlich ist er hereingekommen und hat uns gefragt, welche Rosen er einsetzen sollte.«
»So ein Verschwender!«, schnaubt Netties Schwiegermutter Manny. »Ich hab’s damals gesagt und sage es heute: ein Verschwender! Ich habe ihm doch kein Stück von meinem Gemüsegarten abgetreten, damit er es an Blumen verschwendet.«
»Ich habe ihm gesagt, er solle es mit gelben Teerosen versuchen«, fährt Mama Cooper fort. »Er hat die Büsche am Zaun entlang eingepflanzt. Sobald sie in der Erde waren, beobachteten wir, wie Gus zurücktrat und die Wirkung studierte. Es war nicht gut genug. Oh nein. Er kam zu dem Schluss, dass das noch nicht das Gelbe vom Ei war, und hat einen breiteren Streifen aufgegraben, gehackt, gedüngt und dann die roten American Beauties gesetzt. Dann hat er wieder gehackt und gedüngt und
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