Milner Donna
gepflanzt, und dann noch mal, bis aus dem, was als Teerosenrabatte begonnen hatte, dieses hier wurde.«
Nettie steht vor Gus’ Liebeswerk, einer Überfülle von Farben, Größen und Varietäten in einem riesigen umzäunten Garten, inklusive Zederngitter und einem Bogen über dem Tor.
»Na ja, das war ungefähr so viel an Gartenarbeit, wie ein Mann in seinem ganzen Leben braucht«, sagt Gus lachend.
Jetzt sitzt Nettie auf dem eisernen Bettgestell in der ehemaligen Bergarbeiterhütte am See. Gus hat die Hütte für ihre Flitterwochen umgebaut. Eine weitere Überraschung. Sie beobachtet Gus, wie er die Kerosinlampe ausbläst. Im Dunkeln tastet er nach ihr. Netties letzte Überraschung an diesem Tag der Überraschungen hinterlässt einen schalen Geschmack und Enttäuschung.
Nettie wacht auf, sie hängt immer noch den Bildern nach. Sie will, dass die Szenen ihres Lebens zu Ende gespielt werden. Sie kann beinahe das Summen des Kühlhauses in der Molkerei unten hören, während Gus neben ihr schnarcht. Boyer wird geboren, als sie in dem Zimmer über der Molkerei wohnen. Einen Tag nachdem Gus’ Vater an einem Herzinfarkt gestorben ist, ziehen sie mit ihrem einjährigen Sohn bei Gus’ Mutter ein. Gus baut an das Farmhaus unten ein Schlafzimmer und einen Wintergarten an. Netties Traum vom eigenen Heim verfliegt.
Wie sehr sie sich auch bemüht, Nettie kommt ihrer Schwiegermutter niemals nahe. Aber sie gehen freundlich miteinander um. Und Nettie lernt, während ihre Familie wächst, von Manny, wie man einweckt, konserviert und bäckt, neben vielen anderen Fertigkeiten, die Nettie so fremd sind, die sie aber als Frau eines Farmers unbedingt beherrschen muss. Nettie empfindet sogar eine gewisse Trauer, als Gus’ Mutter im Alter von einundsechzig Jahren – nachdem sie am Küchentisch siebenundzwanzig Hühner ausgenommen hatte – aus einem Nachmittagsschläfchen nicht mehr erwacht. Nettie ist mit ihrem vierten Kind schwanger, als sie den leblosen Körper ihrer Schwiegermutter findet, und drängt die Freude zurück, die bei dem Gedanken an ein zusätzliches Schlafzimmer in ihr aufsteigt. Selbst jetzt, als sie diese Szene ein letztes Mal abspielen lässt, erhebt sich noch eine Woge von Schuldgefühlen.
Inzwischen sind sie alle fort. Dahingeschieden: Mama Cooper, Manny und Gus. Morgan und Carl sind so weit weggezogen. Und Natalie. Natalie war die Erste, die wegging. Nichts ist mehr so, wie es war. Nicht einmal der Rosengarten existiert noch. Nur Boyer ist noch draußen auf der Farm. Boyer und das Klavier.
Zu Hause. Sie will nach Hause, sich wieder den beruhigenden, heilenden Klängen der Musik hingeben.
Sie sitzt im Salon. Sie will Natalies Lieblingslied spielen; vielleicht werden die Klänge dafür sorgen, dass ihre Tochter nach Hause eilt. Dann kann sie es ihr sagen.
Sie öffnet die Holzklappe und legt ihre Hände auf die elfenbeinfarbenen Tasten. Ihre Finger finden geschickt die Akkorde. Doch egal, wie fest sie auch drückt, es kommt kein Ton.
19
D ER B US LÄSST MICH in Cache Creek zurück. Ich nehme mein Mittagessen in dem Restaurant des Motels ein, das als Busdepot dient, während ich auf den Anschluss nach Kelowna warte. Zwei Stunden zum Totschlagen.
Ich spüre, wie mich quälende Reue packt, weil ich so stur war und Vern nicht erlaubt habe, mich nach Atwood zu fahren. Ich versuche zu verdrängen, was seine Worte heute Morgen bedeuteten. Sein unvollendeter Satz darüber, dass er keine Gelegenheit mehr hätte, meine Mutter kennenzulernen. Aber er hat recht. Dass sie stirbt, ist eher eine Realität als eine Möglichkeit. Ein Funke Angst entzündet sich in mir. Die Angst, dass ich zu spät kommen könnte.
Ich schiebe den Rest meines Salats beiseite. Meine Notizbücher und mein Laptop auf der Tischplatte sind bereit, auf Worte wartend, die aus der dünnen Luft auf die Tastatur, zum Festplattenlaufwerk fließen. Nichts kommt. Ich arbeite für den Prince George Chronicle an einer Artikelserie über Frauen des Nordens. Mit der Reise nach Süden erlahmt die Inspiration.
Vor mir dreht ein Schwimmer Runden im Motelpool. Ich sehe teilnahmslos zu, wie sich ein rötlich blonder Kopf aus dem Wasser hebt und sich von einer Seite zur anderen dreht. Ein Gefühl der Vertrautheit bringt mich in die Gegenwart zurück. Ich bin mir sicher, dass dieser Schwimmer Ken ist.
Kenneth Jones, mein zweiter Mann. Ich fürchte mich davor, zu genau hinzusehen. Wie würde ich mich fühlen, wenn er rauskommen, seine Brille hochschieben
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