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Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: River
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»übergoss sich unter dem Fenster von Verteidigungsminister Robert McNamara im Pentagon ein junger Pazifist, ein Quäker namens Norman Morrison, mit Benzin. Dann entzündete er ein Streichholz. Eine Sekunde bevor er in Flammen aufging«, fuhr River fort, »überreichte er seine einjährige Tochter einem unbeteiligten Passanten.«
    Ich erschauerte unwillkürlich, als das Bild eines menschlichen Feuerballs vor meinem geistigen Auge aufblitzte.
    River sah auf, und unsere Blicke trafen sich. »Als ich das in meinem Zimmer im Studentenwohnheim der Montana State University hörte«, sagte er, »habe ich genau dieses Entsetzen in meiner Seele gespürt.« Er griff in seine Jeanstasche. »Am nächsten Tag fand ich diesen Artikel hier auf der Titelseite der New York Times .« Er zog einen zusammengefalteten Zeitungsausschnitt aus seiner Brieftasche.
    Während er ihn Boyer reichte, fiel mein Blick auf die Schlagzeile: »Vietnam-Gegner verbrennt sich selbst«.
    »Es war das Wort ›Gegner‹, das mir aufstieß«, sagte River. »Mit welcher Leichtigkeit sie dieses Wort verwendeten. Mir war klar, dass es nicht so gemeint war, aber es vermittelte mir das Gefühl, als hätte ihn die Tatsache, dass er gegen den Krieg war, zum Gegner gemacht.«
    Während Boyer las, räusperte sich mein Vater und schob seinen Stuhl zurück. Er stand vom Tisch auf und schlich sich aus der Tür. Unterdessen machte der Artikel die Runde. Als er bei mir anlangte, las ich die verblassenden Worte:
Die Witwe des Demonstranten hat folgende Erklärung abgegeben: »Norman Morrison hat heute sein Leben hingegeben, um seiner Sorge über die schweren Verluste an Menschenleben und über das menschliche Leid Ausdruck zu verleihen, das durch den Krieg in Vietnam verursacht wird. Er protestierte gegen die tiefe militärische Verstrickung unserer Regierung in diesen Krieg. Seiner Meinung nach müssten alle Bürger ihre Überzeugungen bezüglich des Vorgehens unseres Landes lautstark bekunden.«
    »Norman Morrison hat mich aufgeweckt«, sagte River, nachdem der Artikel wieder in seiner Brieftasche verstaut war. »Ich konnte das, was geschah, nicht mehr ignorieren. Ich war nicht bereit, ein solches Opfer zu bringen wie er, aber zu meiner Meinung konnte ich mich bekennen.«
    Er erzählte uns, dass er, nachdem er die Universität verlassen hatte, begann, an Protestmärschen teilzunehmen, Massenversammlungen zu besuchen und sich an Sit-ins im ganzen Land zu beteiligen. »Ich wollte mein demokratisches Recht auf Protest ausüben«, sagte er. »Doch seit die Nationalgarde und die Polizei angefangen haben, die Demonstranten anzugreifen, sehen die Straßen und Universitätsgelände von Amerika nicht sehr demokratisch aus.« Er seufzte und setzte dann hinzu: »Selbst die Studentenbewegung wird militant. Als mein Einberufungsbefehl kam, fiel mir die Entscheidung leicht, ihn zu verbrennen.«
    Am Tisch herrschte Schweigen. An diesem Tag hatten weder Morgan noch Carl, noch irgendeiner ihrer Freunde eine witzige Reaktion auf Rivers Worte parat.
    Es war von Anfang an klar, dass er ganz anders war als die Herumtreiber, die ihren Weg heraus zu unserer Farm fanden. Wie Boyer hatte River es nicht nötig, Gesprächspausen mit Worten zu füllen. Seine Ruhe und Ernsthaftigkeit ließen das scherzhafte Gerede all der Jugendlichen aus der Stadt, die sich um unseren Tisch drängten, wie albernes Geplapper erscheinen.
    Indirekt, so glaube ich, könnten alle diese jungen Leute für alles verantwortlich gemacht werden, was nach River geschah. Wenn sie Jake nicht verdrängt hätten, wäre River nicht zu uns gekommen.
    Wie jeder in unserer Familie hatte Jake, solange er bei uns lebte, bei den Mahlzeiten einen Stammplatz. Er saß am anderen Ende des Tisches, gegenüber von Dad, neben Boyer. Gäste quetschten sich entweder auf die Bank, wo Morgan und Carl saßen, oder zogen Stühle heran, um sich neben Mom und mich zu setzen. Wenn jemand es wagte, Jakes Stuhl zu okkupieren, schnappte er sich seinen Teller, füllte ihn und schlug die Tür hinter sich zu.
    Mom gab unserem wachsenden Freundeskreis die Schuld daran, dass er fortging. »Der gute alte Jake«, sagte sie später, »er konnte all diese jungen Menschen einfach nicht ertragen.«
    Was auch immer der Grund war, Jake packte Knall auf Fall seine Sachen zusammen und sagte: »Tja, ich denke, es ist Zeit für mich weiterzuziehen«, als wäre er gerade einmal ein paar Wochen da gewesen und nicht über zwanzig Jahre. Dann überraschte er uns alle und

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