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Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: River
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mein Bruder wechselte rasch das Thema. »Was sind also deine Pläne?«, fragte er River. »Glaubst du, du wirst je zurückgehen? An die Universität, meine ich.«
    Die Frage traf mich wie ein Blitz. Bis zu diesem Moment hatte ich nie daran gedacht, dass River einmal weggehen könnte, aber plötzlich ergab das einen Sinn. Nervös wartete ich auf seine Antwort.
    »Ich habe einen Treuhandfonds von meiner Großmutter, der fällig wird, wenn ich vierundzwanzig bin«, sagte River. »Als ich hier heraufkam, dachte ich zuerst, ich würde Kanada kennenlernen, indem ich durch die Gegend reise und Gelegenheitsarbeiten übernehme. Aber ich bleibe gern so lange hier, wenn eure Familie es bis dahin mit mir aushält. Wenn ich mein Geld ausbezahlt bekomme, dann stelle ich vielleicht einen Antrag, damit ich an die Universität von Vancouver oder Calgary gehen kann.« Er lächelte Boyer an. »Welche, glaubst du, ist die bessere?«
    Boyer zuckte mit den Achseln. »Darüber habe ich mir noch keine großen Gedanken gemacht.«
    Während sie sich unterhielten, rechnete ich rasch im Kopf nach. River war einundzwanzig. In drei Jahren würde ich mit der Highschool fertig sein. Zum ersten Mal liebäugelte ich mit der Idee, selbst zur Universität zu gehen.
    Aber es war Boyer, an den River diese Frage gerichtet hatte. »Ja, aber warum nicht? Warum denkst du nicht daran, mit mir zu kommen?«
    »Das kommt nicht infrage.« Boyer versuchte zu lachen.
    River blickte Boyer unverwandt an, als würde er seine Gedanken abwägen: »Du hast mich einmal gefragt, warum ich mit voller Absicht meine Ausbildung an der Universität aufgegeben habe. Ist das, was du machst, denn nicht genau das Gleiche?«
    »Es ist nicht das Gleiche«, sagte Boyer und sah irgendwie bestürzt aus.
    »Nein?«
    Boyer wich seinem Blick aus. »Alles, was ich an Ausbildung brauche, ist doch hier«, sagte er und zeigte auf die Bücher, die uns umgaben.
    »Und die wirkliche Welt ist da draußen.« River nickte in Richtung Fenster. »Mann, pass nur auf, dass du ehrlich zu dir selber bist. Dass du nicht die Farm – oder deinen Vater – als Entschuldigung nutzt, um dieser Welt aus dem Weg zu gehen.«

25
     
    I N K ELOWNA WARTETE ICH im Busdepot auf meinen Anschluss und hatte den penetranten Geruch schwelender Wälder noch in der Nase. Jetzt, da der Bus sich von der Stadt im Okanagan Valley entfernt und nach Osten fährt, ist er immer noch nicht verflogen.
    In diesem Sommer hatte es so ausgesehen, als stünde ganz British Columbia in Flammen. Der gelb verfärbte Himmel war monatelang schwer vom raucherfüllten Dunst. Jetzt will ich nicht hinaussehen auf die Augenfälligkeit vernichteter Wälder, nackter schwarzer Gerippe, mit denen eine trostlose Landschaft übersät ist. Ich will mich nicht mit meinen eigenen Erinnerungen an verkohlte und geschwärzte Gebäude auseinandersetzen.
    Es ist ein seltsames Gefühl, in einem Bus unterwegs zu sein, es ist, als befände man sich in einem brummenden Vakuum, in einer Zeitmaschine, die einen in seine Vergangenheit zurückbringt. Warum nehme ich immer den Bus, wenn ich nach Hause fahre? Es steckt mehr dahinter als meine Abneigung gegen das Fliegen. Ich könnte mit dem Auto fahren. Ich fahre ja sonst überallhin mit dem Auto. Nur nicht, wenn ich zurück nach Atwood reise. Liegt es daran, dass ich es mir, sobald ich im Bus sitze, nicht mehr anders überlegen kann? Nicht umkehren kann?
    Die erste Busfahrt machte ich 1969, als ich von zu Hause wegging. Die nächste nach der Beerdigung meines Vaters.
    Ich erinnere mich an ein älteres Paar in diesem Bus. Sie müssen in den Achtzigern, vielleicht auch schon in den Neunzigern gewesen sein. Bei jedem Halt kletterten sie mit der betulichen Langsamkeit des Alters aus dem Bus und stiegen dann wieder ein. Ich verspürte einen irritierenden Groll: Sie durften leben und alt werden. Und mein Vater nicht. Er war zu jung zum Sterben. Plötzlich kommt mir zu Bewusstsein, dass er bei seinem Tod nur vier Jahre älter war, als ich heute bin.
    Am Ende war es nicht der Krebs, der ihn umbrachte. Es war die Farm. Mein Vater starb auf dem kalten Betonboden des Geräteschuppens, unter seinem Massey-Ferguson-Traktor.
    Morgan rief mich an, um mir Bescheid zu geben. Ich nahm den ersten Flug nach Hause.
    Jenny und Vern hänseln mich wegen meiner Flugangst, aber das würden sie nicht tun, wenn sie mich auf jenem Flug gesehen hätten. Sie haben keine Ahnung von den Ausmaßen meiner Phobie. Auch ich war ahnungslos, bis ich mich

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