Milner Donna
du zuschauen, wie sie sich gegen eines der Ihren wenden und es tothacken.«
Aber im Oktober, nachdem Morgan angefangen hatte, Ruth Gesellschaft zu leisten, konnte Mama Cooper ihre Zunge nicht im Zaum halten. »Es geht mich ja nichts an, Nettie«, sagte sie, »aber du hast genug Ärger in dieser Familie gehabt, als dass Morgan jetzt noch mit einem schwangeren Mädchen in der Stadt herumstolzieren müsste, noch dazu mit einer Indianerin.«
»Sie ist eine Haida«, verbesserte Mom sie.
Ruth’ Mutter stammte von der Haida First Nations Indian Band auf den Queen Charlotte Islands ab. Ruth’ Vater betrieb dort kommerziellen Fischfang. Es war ihr streng katholischer irischer Vater gewesen, so hatte Ruth Mom erzählt, der sie, als sie in Not geriet, weggeschickt hatte, damit sie ihr Baby anderswo bekam.
»Du hast recht, Mama«, sagte Mom mit ihrer nüchternen Stimme. »Es geht dich nichts an. Und wenn Morgan und diese junge Dame sich gegenseitig trösten, dann freue ich mich für sie. Und die Borniertheit der Tratschmäuler interessiert mich nicht. Diese Stadt sollte sich schämen«, fügte Mom traurig hinzu. »Die Leute hier sind geprüft und für zu leicht befunden worden. Es ist offenkundig, dass es keine Toleranz gegenüber irgendetwas gibt, was anders ist.«
Ich will jedoch zugunsten von Mama Cooper sagen, dass sie, als ihr klar wurde, wie standfest Mom war, in sich ging und wieder zu uns hielt. Und selbst Mama Cooper verliebte sich in Ruth, sobald sie sie kennenlernte.
Die schöne Ruth mit den funkelnden Augen und dem schüchternen Lächeln! Sie wurde zur Stütze unserer ins Wanken geratenen Familie. Und an dem Tag, an dem Boyer endlich zurückkam, war es nur Ruth, die ihm ohne Entsetzen ins Gesicht sehen konnte, ohne Tränen zurückdrängen zu müssen.
An jenem Tag Ende November, als Boyer nach Hause kam, taumelten Schneeflocken vom grauen Himmel herab. Wir waren zwar alle wegen der Narben gewarnt worden, die immer noch heilten, aber bis auf Mom war, glaube ich, keiner von uns wirklich darauf vorbereitet.
Ich stand zitternd hinter dem Verandafenster und sah zu, wie Mom und Dad aus dem Wagen kletterten. Mom öffnete die hintere Tür und bückte sich, um Boyer herauszuhelfen. Als er vorsichtig ausstieg und sich dann aufrichtete, sah ich die fleckige Haut, die sich seitlich über seinen Hals spannte. Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Doch dann drehte er sich um.
Ich musste mich am Fensterbrett festhalten, als die Zerstörung auf der anderen Gesichtshälfte sichtbar wurde. Sein Gesicht! Es sah aus, als wäre die ganze linke Seite zerschmolzen. Irgendwo unter dem glühend roten vernarbten Gewebe waren einmal sein Ohr, seine Wange und die linke Hälfte seines Mundes gewesen.
Während Mom ihn langsam den Weg zur Veranda heraufführte, flüchtete ich mich in die Küche. Ich versuchte, an den Narben vorbeizusehen, versuchte, Boyer, als er endlich durch die Tür trat, in seinen Augen wiederzuentdecken. Es war nichts da. Er blickte zu mir herüber und dann durch mich hindurch, über mich hinaus. Es war, als hätte ich mich aufgelöst, als existierte ich nicht. Ich schlich mich in die Ecke, während er vorüberging.
Ich weiß nicht, wie lange meine Brüder gebraucht hätten, um ihre Sprache wiederzufinden, wenn nicht Ruth auf Boyer zugegangen wäre und ihm die Hand hingestreckt hätte. »Ich freue mich so, dich kennenzulernen«, sagte sie mit ihrer sanften Stimme. »Ich bin Ruth.«
Wir waren alle darauf aufmerksam gemacht worden, dass Boyer wegen des Luftröhrenschnitts, den man in seiner rauchgeschädigten Kehle vorgenommen hatte, immer noch Schwierigkeiten und Schmerzen beim Sprechen hatte. Er hob langsam die Hand. Ruth ergriff sie und hielt sie vorsichtig mit ihren beiden Händen umschlossen.
Morgan und Carl, gewöhnlich nie um Worte verlegen, standen da, als hätten sie die Stimme verloren. Schließlich raffte sich Morgan auf: »He, willkommen zu Hause! Du hast uns gefehlt!«
Boyer nickte ihnen zu und ging durch den Salon in den Wintergarten.
Mom sagte, er stehe immer noch unter Schock, benötige Zeit, um wieder gesund zu werden, und es sei normal, wenn Verbrennungsopfer sich in sich selbst zurückzögen, wenn sie Wut verspürten. Ich erinnere mich nicht, zu wem sie das sagte oder warum, aber es war nicht an mich gerichtet.
Die nächsten Monate schlief Boyer draußen im Wintergarten. Die Treppen waren zu beschwerlich für seinen steifen, schmerzenden Körper. Er erholte sich unter Ausschluss der
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