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Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: River
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Öffentlichkeit und behielt seine Narben und seine Schmerzen für sich.
    Ich bewegte mich stumm zwischen Küche, Badezimmer und meinem Zimmer und versuchte, möglichst auch unsichtbar zu sein. Spät in der Nacht, wenn ich mich versichert hatte, dass Mom nicht auf war, schlich ich mich nach unten und holte mir etwas zum Essen auf mein Zimmer. Ich hielt mich so lange wach, wie ich konnte, las und aß und stopfte mich voll in der Hoffnung, auf diese Weise die Bilder abzuwehren, die mit dem Schlaf heranbrandeten. Dennoch kehrten die Visionen jede Nacht wieder: Träume von Rauchfäden, die sich unter dem Spülbecken in Boyers Hütte nach oben kräuselten. Denn unabhängig davon, wie oft ich Mom hatte sagen hören, dass die Polizei vermutete, bei dem Feuer habe es sich um Brandstiftung gehandelt, oder Dad hatte sagen hören, er glaube, es sei absichtlich von denselben Händen gelegt worden, die unser Schild übermalt hatten, wusste ich ja, wer der Brandstifter war. Und wenn ich die Augen schloss, konnte ich die Glut der Marihuanazigaretten sehen, die ich so sorglos in den Müll gekippt hatte, wie sie schwelte und immer weiter schwelte und dann, während Boyer schlief, den Brand auslöste.

39
     
    I CH WEIß NICHT, WIE B OYER und ich in jenem Winter zusammen unter einem Dach wohnen konnten. Doch während der Monate nach seiner Rückkehr von der Spezialklinik gelang es uns irgendwie, uns aus dem Weg zu gehen.
    Wenn ich nicht in der Schule war oder Routinearbeiten erledigte, hielt ich mich in meinem Zimmer versteckt. Boyer lebte zwischen Wintergarten und Küche. Eine ganze Welt entfernt. Manchmal, wenn er auf seinem Weg ins Badezimmer die Küche durchquerte, konnte ich einen Blick auf ihn werfen. Es war, als hätte sich ein Fremder seines Körpers bemächtigt. Nicht einmal in der weniger versehrten rechten Seite seines Gesichts konnte ich Boyer erkennen. Und gewiss konnte derjenige, der nun stundenlang in Dads verstellbarem Lehnstuhl vor dem Fernseher saß, nicht mein Bruder sein.
    Mom wurde seine Wärterin. Sie schirmte ihn vor den neugierigen Blicken der Besucher und selbst von uns ab. Sie nahm die Mahlzeiten mit hinaus zu ihm in den Wintergarten. Jeden Morgen ließ sie ihm sein Bad ein, prüfte die Wassertemperatur und führte ihn dann wie ein widerstrebendes Kind ins Badezimmer. Sie rieb seine sich verhärtenden Narben mit Ölen ein und bestand darauf, dass er sich bewegte. Alle paar Stunden ergriff sie seinen Arm und nahm ihn auf kurze Gänge durch das Haus mit; später dann wagte sie sich mit ihm, nachdem sie ihn wegen seiner temperaturempfindlichen Haut warm eingepackt hatte, ins Freie hinaus.
    In jenem Winter begann es früh zu schneien. Ich sah aus meinem Fenster die Schneehauben auf den Zaunspitzen im Hof sitzen. Ich beobachtete, wie am frühen Morgen der Schneepflug unsere Straße heraufkam und mit dem riesigen Räumschild große weiße Wellen auf die Schneewehen schob.
    Egal, wie tief der Schnee auch lag – wir konnten es uns nicht leisten, uns einschneien zu lassen. Wie die Post musste auch die Milch freie Fahrt haben. Die South Valley Road war die erste Straße, die jeden Tag geräumt wurde. Doch abgesehen von den Milchauslieferungen und den Besorgungen des Lebensnotwendigen fuhren wir selten in die Stadt. Wir wurden so isoliert, als wären wir durch Schneemassen abgeschnitten. Mom ging immer noch jeden Sonntag in die Kirche, die Einzige von uns, die das jetzt noch regelmäßig tat.
    Vor Weihnachten versuchten einige von Dads Kunden, ihre Abbestellungen rückgängig zu machen. Er ignorierte ihre Anfragen, während Mom meinte, dass wir uns einen solchen Stolz nicht leisten könnten.
    »Ich werde im Frühjahr ein paar Kühe verkaufen«, entgegnete er.
    »Nun, entweder das«, drohte Mom, »oder du verkaufst die Milch en gros an die kommerziellen Molkereien.«
    Zum Engrosverkauf sagte mein Vater, dass er lieber sterben wolle, als das zu erleben. Beinahe hätte er seinen Willen bekommen.
    Unser Molkereibetrieb war einer der letzten in der Provinz, der noch Rohmilch in Flaschen abfüllte und verkaufte. »Diese Schnösel aus der Stadt wollen alles sterilisieren«, pflegte er zu sagen. »Wenn sie sich durchsetzen, wird es bald nichts Gutes, nichts Natürliches mehr geben. Wir werden alle nur noch kleine Plastikpillen schlucken, statt wirkliches Essen zu uns zu nehmen.«
    In jenem Winter tauchte der Inspektor der Milchbehörde regelmäßig auf, um Stichproben zu nehmen und die Qualität der Milch zu

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