Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
Vom Netzwerk:
herum.
    Gestern war sie an Julias Haus vorbeigekommen, als sie für Gabriel in die Stadt fahren mußte, etwas besorgen wie ein Dienstmädchen, ein Mädchen für alles. Vor den geschlossenen Dachfenstern hingen noch die Scheibengardinen. Wie ging das jetzt hier weiter, kamen Möbelpacker, um die Wohnung auszuräumen, kamen irgendwelche Leute, die da wohnen wollten? Biggi hätte eine solche Wohnung nicht besichtigen wollen, aber vielleicht sah man nichts mehr, wenn die Möbel und der Teppich draußen waren und Maler die Wände neu gestrichen hatten.
    Das Blut. Und der Geruch.
    Sie schob das Käsebrot in ihre Tasche zurück. Morgens hatte sie es sich in der anderen Wohnung gemacht, der häßlichen. Sie brachte sich immer etwas mit, weil sie es noch nicht schaffte, hier in dieser Wohnung etwas zu kochen, sie war noch fremd. Man mußte sie erst gründlich putzen, dann konnte man richtig darin essen. Sie müßte im Bad anfangen, das Bad zuerst.
    Manchmal raschelte es in der Heizung, ein durchdringendes Geräusch. Sie stand nun schon so niedrig, war fast ausgestellt und noch immer mußte man an Mäuse denken oder ein anderes Gewimmel.
    Julia wollte mit ihr ins Kino, wollte Spazierengehen und ins Konzert, doch manche Leute taugten nicht als Freunde. Als ob es keine anderen Freunde gäbe als immer diese Krüppel. Biggi hatte immer nur solche Freunde gehabt, das war schon in der Schule so gewesen, die Häßlichen und die Kranken und die Versager.
    Theresa Jung hatte erzählt, daß sie manchmal tagelang mit keinem redete, dann mit jemandem im Supermarkt, ein Viertel Gouda bitte.
    Theresa Jung.
    Es kam vor, daß Biggi leise ihren Namen sprach, als würde das helfen. Sie war gar nicht fremd gewesen, Theresa Jung, Biggi war es vorgekommen, als hätte sie sie längst gekannt. Manchmal war das so, man erkannte einander. Wie Tiere, wie Artgenossen über Distanzen hinweg, witterte man dieselbe Existenz, und dann mußte man sich selber sehen, wie in einem Spiegel.
    Die Henkel hockte manchmal auch da drüben herum, als käme sie nie wieder hoch.
    Schläge. Viele Schläge. Theresa. Wie ein geprügeltes Vieh, wie Julia, wie Martin, wie Biggi vielleicht.
    Biggi schloß die Augen. Manchmal flüsterte sie auch ihren eigenen Namen, weil es schöner war, jemand anders zu sein. Theresa Jung hatte sie für eine Polizistin gehalten.
    Manchmal ließ man sich zuviel gefallen. Das hatte Biggi ihr gesagt, »lassen Sie sich nicht soviel gefallen!« Biggi selbst war das ja auch schon passiert. Selbst ein blöder Penner hatte es versucht, damals, als sie in die Stadt gekommen war, um zu arbeiten und zu leben. Die Bahnhofshalle so riesig, daß sie nicht weiterwußte, und vor ihr auf dem Boden hockte dieser verlauste Affe und glotzte sie an. Sie hielt ihr Gepäck fest, gewöhnliche Koffer, altes Zeug, mit Gürteln zusammengehaltener Mist, und der Mann, der starrte, hatte eine Colabüchse vor sich, die er als Aschenbecher benutzte. Sorgsam schnippte er die Asche hinein, dann zertrat er die fertig gerauchte Zigarette auf dem Boden und fragte: »Was willst du dann hier gewinne? En Blumetopp?« Er hatte geguckt, ob sie lachte, hin und wieder erinnerte sie sich an ihn.
    Sie hatte keine Antwort gegeben. Das passierte oft. Sie gab keine Antwort, erst hinterher fiel sie ihr ein.
    Sie zuckte zusammen. Die Heizung wieder, das Geraschel. Sie ging herum, nichts war. Keine Maus und kein Gespenst, nur die Möbel und die Kleider. Überall schwebte das Fahrenheit. Im Bad ging es los mit dem Duft, wie dieser fliegende Teppich aus dem Märchen segelte er auf sie zu und überdeckte selbst den Geruch der Blumen wie ein unsichtbares Netz.
    Drüben war es noch immer dunkel. Niemand da, die Katze vielleicht, die konnte auch im Dunkeln leben, die Katze konnte das.
    Biggi blieb am Fenster stehen und faltete die Hände. Langsam alles durchgehen. Sie brauchte die Akkus, doch die waren in der anderen Wohnung, die Kühlakkus aus ihrem Gefrierfach. Besser als Eiswürfel. Bequemer. Dieser Kühlschrank hier taugte nicht so viel. Also würde sie schnell herüberfahren und sie holen und dann wiederkommen.
    Sie brauchte sie jetzt.
    Leise abschließen, sie kannte keinen Menschen hier im Haus. Tschüs bis gleich. Nichts vergessen.
    Vorsicht auf der Straße. Mit dem Fahren. Sie durfte nicht so blöde Gedanken haben im Auto, das war nicht so gut. Sie durfte nicht dauernd daran denken, was werden würde, sie mußte sehen, was kam. Es gab immer eine Lösung, wenn man sich bemühte.
    Die Fahrt

Weitere Kostenlose Bücher