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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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Hochhäusern. Da ist eine Kneipe.«
    »So, und warum sagen Sie das nicht gleich?« Ina Henkel sprang auf und ging zum Fenster. Die schweren, dunklen Vorhänge wie eine Mauer, an der man sich den Kopf einschlug. »Wir haben Sie doch schon einmal nach ihm gefragt, nicht? Muß man Ihnen alles und jedes aus der Nase –«
    Stocker hustete. Als sie sich umdrehte, starrte die Benz sie aus schmalen Augen an, Augen, in denen sie nicht lesen konnte, weil zuviel darin stand, unvereinbares Zeug. Sie war so klein und dünn. Nein, so klein war sie nicht, sie wirkte so, hockte zusammengesunken da und starrte sie an. Sekundenlang konnte sie sich nicht rühren, sah sie die Benz in diesem tristen Raum umhergehen, sah sie fallen, sah sie liegen, in dieser Wohnung verschimmeln. Eine Uhr tickte; ruckartig hob sie den Kopf. Es hing keine an der Wand. Keine Uhr hier, nur die grünen Leuchtziffern auf dem Fernseher, 20:04.
    »Nach der Sendung«, sagte die Benz leise. »Ich dachte, ich hätte schon gesagt, daß wir uns nach der Sendung unterhalten haben. Martin hatte sich soviel vorgenommen, er ist mit der U-Bahn hingefahren – zur Sendung, meine ich – und hat das auch geschafft. Nach der Sendung hat er gesagt, die Luft wäre raus. Er konnte nicht – ich meine, er hatte wieder solche Angst vor der U-Bahn, da hab ich ihn nach Hause gefahren. Er hat mich dann noch zu einem Glas Wein eingeladen. Er wollte reden. Weiterreden.«
    »So«, sagte Ina Henkel. Was ließ sich denn sonst noch sagen, aha, ah ja, was Sie nicht sagen. »Gab es sonst noch irgendwelche Kontakte zwischen Ihnen?«
    »Wie meinen Sie?« Die Benz starrte auf ihre Lederjacke; Ina Henkel sah selber hin, sie war okay.
    »Na, wie meine ich das«, fing sie an. »Welche Art von Kontakten kennen Sie denn?« Sie brauchte Stocker nicht anzusehen, um zu wissen, daß diese Frage daneben war. Sie war daneben, weil sie ewig wachgelegen hatte, weil sie es haßte, über Fried zu reden, weil sie hier raus wollte.
    Bilder aus irgendeinem Teil des Hirns. Sie verblaßten, wenn sie über alles mögliche redete oder sich auf Dinge konzentrierte, die zu tun waren, und sie ließen sich wegschmusen, doch sie kamen wieder, immer wieder zurück. Im Lehrbuch stand, daß sich das Gehirn in verschiedene Schichten gliederte. Eine dieser Schichten bestand aus einer Festplatte, die man nicht löschen konnte, davon stand aber nichts im Lehrbuch. Das Bündel auf dem Boden und die tickende Uhr an der Wand und der Mann mit dem Mozartzopf sagt: »Obacht! Wir heben ihn hoch.« Seit dieser Minute rannte sie Frieds Leben hinterher, als wollte sie ihn rächen und zuckte doch jedesmal zurück, wenn sie an ihn dachte. Wie bei Ratten, hatte man sie einmal im Keller gesehen. Wenn man dann an den Keller dachte, wollte man nicht mehr hinein.
    Sie zog die Nase hoch. Die Benz starrte sie an. Zusammengekniffene Augen, ihre ganze Stirn war in Falten. Langsam und leise sagte sie: »Ich war nicht mit Martin befreundet. An diesem einen Abend haben wir uns unterhalten. Er war wie Julia. Vielleicht hätten sie sich kennenlernen sollen.« Sie fuhr mit einem Daumen über einen abgekauten Fingernagel. Doch sie hörte auf zu starren.
    Ina Henkel wartete, daß Stocker etwas sagte. Er tat es nie, wenn sie darauf wartete. Die Benz schien aber in Fahrt zu kommen, jetzt konnte sie unfallfrei drei gerade Sätze sprechen; »Man tut doch was«, sagte sie. »Man geht essen, ist mit Leuten zusammen, später gründet man vielleicht eine Familie und hat Freunde, das ist das normale Leben.« Erneut hob sie den Kopf, um Ina Henkel anzusehen. »Ist das bei Ihnen nicht so?«
    »Was geht Sie das an?« fragte sie. Stocker hustete wieder, langsam fiel es auf.
    »Wie man es halt macht.« Die Benz strich mit beiden Händen über ihre Hose. »Die sind einfach liegengeblieben. In ihren Wohnungen. Julia und Martin und« – sie schüttelte den Kopf- »andere.«
    »Sie haben unsere Nummer?« Stocker stand auf.
    »Sitzengeblieben«, sagte die Benz.
    »Was meinen Sie?«
    »Man sagt doch: sitzengeblieben. Wenn es so ein Mauerblümchen ist.«
    »Kann sein, daß man das sagt.« Stocker lächelte.

42
    Vor dem Haus stand ein Liebespaar, ein Schatten am Gemäuer, der sich nur leicht bewegte. Sie standen so eng beisammen, daß sie eins waren, ein Mensch mit vier Händen und zwei Köpfen und zweierlei Haar. Ein Mensch mit zwei Stimmen; »Hach, ist das kalt!« rief die Frau.
    »Wird schon«, sagte der Mann.
    »Die sollen laufen«, murmelte Stocker. »Dann wird’s

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