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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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kommst du? Mmh. Ich bin heute ganz allein in der Schicht, heute geht es nicht. Wir haben Japse. Eine Reisegruppe, wegen der Messe, die wollen dauernd was anderes, neue Handtücher und so, Mädels. Ich renn bloß rum. Was machst du? Bist du da?«
    »Ja«, flüsterte sie. »Ruf doch an.«
    »Mmh«, sagte die Stimme auf dem Band. »Also, dann leg ich jetzt auf.«
    Sie nahm ein paar Tropfen des neuen Parfüms und verrieb sie auf den Handgelenken, bis der Blutgeruch ganz langsam verschwand. Man sollte es auf Gräber schütten. Man sollte die ganze Stadt damit besprühen, ihre Tatorte, ihre Fundorte, ihre tausend Verstecke. Sie konnte nicht aufhören, all die Flakons zu kaufen, Düfte, Aromen, die sie aus der Welt trugen, dann und wann, aus der Totenwelt in das Land der Lebenden zurück. Es war einmal das einzig vorstellbare Land gewesen, wie bei Menschen, die keine Reisen machten. Die Totenwelt war aber kein richtiges Land, es gab kein Gesetz. Oder Gesetze existierten, ohne daß man sie durchschaute.
    Sie schlug ein paar Zeitschriften auf und zeichnete mit einem Finger die Gesichter nach, Frauen und Männer, so schön und gesund, daß man es fast glaubte. Die schönsten Fotos schnitt sie aus, um sie auf Korkwände zu pinnen, eine Pinnwand in jedem Raum und Zeitschriftenberge hinter dem Bett, Allegra, Vogue und Frisurenhefte, die ihr der Friseur gegeben hatte, so ordentlich gestapelt wie bei Hilmann oder Hilmar, Bischofs Nachbarn.
    Hilmar hieß er, Hilmar, Frank; hinter seinen Namen in ihrem Notizbuch hatte sie ein Fragezeichen gemalt.
    Ein Antippen des Lampenschirms ließ die Gesichter leuchten, dann lag so ein Glitzern auf den Lidern, wie sie es selbst nie hinbekam. Bei Julia Bischof war ein Augenlid halb abgerissen, die Wimpern lagen auf den Wangenknochen. Oder es lag am Lidschatten, daß diese Augen hier strahlten, Ton in Ton, dezent. Ton in Ton kriegte sie selber nicht so hin. Sie hatte überhaupt kein Händchen für Lidschatten, gerade morgens nicht, bevor sie Bereitschaft hatte, weil ihre Hände dann häufig zu sehr zitterten. Leichenbestatter malten den Toten die Wangen rot, falls sie zugerichtet waren und Angehörige sie im Sarg noch sehen wollten, oder sie nahmen einen Augenbrauenstift, wo Löcher waren, denn bei Stirnverletzungen fehlten häufig die Brauen und niemand wollte das sehen. Sie warf die Zeitschrift auf den Boden und drückte die Handballen auf die Augen; irgendwann murmelte sie: »Jerry?«
    Der Kater sah sich um. Sein Fell roch nach Shampoo. Er sprang auf den kleinen Schreibtisch, lief leichtfüßig über die Bücher, die da lagen, ein Lehrbuch der Kriminologie, ein Handbuch der Pathologie und ein Fremdwörterlexikon, Bücher, die aussahen, als wären sie schon ein paarmal durchs Zimmer geschleudert und wieder aufgehoben worden. Sie nahm ihn in die Arme und schaltete den Fernseher ein, die Fernbedienung lag unterm Sofa. Sie blieb auf dem Boden sitzen, den Kopf gegen die Wand gelehnt. Im Ersten küßte sich ein Paar, im Dritten ging eins auseinander, in einer Talkshow schluchzte eine Frau, die Fernbedienung zappte ja von selbst, eine Stunde oder länger, das blaue Licht warf Zackenmuster auf die weiße Wand.

10
    Gabriel Mosbach trug Jeans und ein weites Hemd mit Weste. Vor der Kamera mußte er Anzüge tragen, er schwitzte in jeder Sendung einen durch. Sein Haar fiel in Locken auf die Schultern, zahllose Frauen hatten ihn in zahllosen Briefen gefragt: Hast Du Dauerwellen? Biggi hatte ihn einmal sagen hören, er hasse es, wenn Frauen meinten, er sähe wie ein Engel aus. Er war nicht mehr so jung, wie man sich Engel dachte.
    Er fragte: »Wirst du bis nächstes Jahr fertig?«
    »Einen Moment.« Biggi räusperte sich. Ihre Hände fingen wieder an zu zittern, das machte es noch schlimmer. Das war, weil er so gaffte, weil er zuguckte, wie sie versuchte, das Papier aus dem Drucker zu ziehen, doch es hatte sich verhakt, und er tat jetzt so, als sei das ihre Schuld, sagte: »Du wirst es doch fertigbringen, etwas auszudrucken. «
    Biggi hatte nie verstanden, warum es Leute gab, die andere Leute büßen ließen, für nichts Besonderes eigentlich und doch für alles. Es war nichts Erfreuliches, was sie Gabriel ausdrucken sollte, seine neuen Zahlen, seine Quoten, und er wußte, wie schlecht die waren.
    »Ein Papierstau«, sagte sie.
    » Papierstau! «äffte er sie nach. Er verlor an Boden, vielleicht war er deshalb so schlecht gelaunt. Seine Talkshow war nicht mehr der große Renner. In der Firma sagten sie, viel

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