Mimikry
alte Videos an, kommentierte seine Auftritte wie eine abgetakelte Diva. Sie wartete, doch er sagte nichts mehr. Er sagte niemals Danke oder so. Meistens sagte er Na also, wenn sie etwas richtig machte.
Sie stand auf, ordnete die Zettel auf ihrem Schreibtisch, dann nahm sie ihre Jacke. Es war ein einfacher Anorak, den sie seit Jahren hatte, vielleicht sah ein Mantel viel besser aus. Sicher, so ein langer, weiter Mantel machte viel mehr her. Diese Kommissarin hatte so einen getragen, Oberkommissarin, hieß es ja korrekt, die hatte sich ganz leicht darin bewegt.
Auf dem Flur hörte sie die Leute darüber diskutieren, ob sie rüber zum Thai gehen oder lieber beim Chinesen essen sollten. Meistens hockten sie dann beim Italiener. Man konnte aber auch zum Metzger gehen, wie Biggi das machte, von einem Brötchen bekam man nicht so einen schweren Magen. Im Aufzug glotzten zwei Frauen sie an, Produktionsassistentinnen mit Terminkalendern in den Händen, aufgedonnert und mit Oberteilen, wie Vierzehnjährige sie trugen. Parfümwolken um sie herum, überall Schmuck. Biggi hatte sich so dicht an die Wand gepreßt, als sei der Aufzug überfüllt. Die Armbänder fielen ihr ein, die die Polizistin getragen hatte, zwei dünne, schimmernde Ketten an einem Handgelenk, nicht so übertrieben. Sie nestelte an ihrem Armreif herum, so ein billiges Ding; gehörte eigentlich längst ausrangiert.
»Na?« fragte die eine der Produktionsassistentinnen. »Machste Mittag?«
Biggi hatte keine Ahnung, was das blöde Grinsen sollte. Sie lächelte, wollte gar nicht lächeln. Es war aber einfacher, freundlich zu sein, man hatte dann weniger Scherereien und fiel nicht weiter auf. Manche Leute steckten sie weg, die Scherereien, die konnten das. Manche saßen aufrecht auf ihren Stühlen und sahen einen an, daß man kleiner wurde. Wie diese Oberkommissarin, die machte eine Kopfbewegung und andere folgten ihr. Biggi sagte: »Ja.« Ja, sie machte Mittag, was denn sonst.
»Hm«, sagte die andere, als hätte Biggi etwas Bedeutendes gesagt. Sie sah ihre Kollegin an, dabei bekam ihr Blick so etwas gemein Gequältes, daß die Kollegin zu kichern begann. Biggi wußte nicht, ob es an ihrer Kleidung lag, Jeans und eine Bluse, einfaches Zeug. Sie hatte sich auch wieder geräuspert, bevor sie ein einziges Wort gesprochen hatte, dauernd passierte das. Sie legte sich jedes Wort zurecht und mußte Anlauf nehmen, auch wenn sie gar nicht sprang. Sie wollte so nicht sein. Sie mußte anders werden, mußte es lernen. Sie wollte alles richtig machen.
Julia hatte solche Leute auch nicht gemocht, das war aber deswegen so gewesen, weil sie wußte, sie würde nie dazugehören. »Schickimickis« hatte sie die immer genannt, ein blödes Wort.
Draußen blieb sie stehen, sah Leuten hinterher. Manche sahen aus, als hätten sie etwas vor, auf das sie sich freuten, oder als erinnerten sie sich an etwas, das schön gewesen war. Es roch nach Frühling. Ein Besoffener stolperte herum, umkreiste brüllend eine Frau, und als sie einen Schritt zur Seite machte, sah Biggi, daß es die Polizistin war, die Henkel. Sie schien ihn gar nicht wahrzunehmen, doch wie die meisten Besoffenen wollte er Aufmerksamkeit. Er schlug nach ihr, nein, er wollte nach ihr schlagen, und dann sah Biggi zu, wie die Henkel so schnell zur Seite sprang, als hätte sie keine Reaktionszeit, als würde sie solche Situationen trainieren. Sie packte den Penner am Handgelenk und riß ihn hoch, und für einen Augenblick sahen sie wie ein Paar auf einer Tanzfläche aus, bevor einer der Partner anfing eine Pirouette zu drehen. Neben der Henkel stand ihr Kollege. Stocker hatte die Arme verschränkt und sagte kein Wort.
»DU BLÖDE – BLÖDE«, begann der Säufer, weiter kam er aber nicht, denn sie konnte genauso schreien.
»WAS WILLST DU?« brüllte sie ihn an, wobei sie aussah, als könne sie das Spielchen ewig spielen. Als sie ihn dann so plötzlich losließ, wie sie ihn gepackt hatte, taumelte er zurück, hockte sich aufs Pflaster und guckte sich seine Schuhe an. Er war so lächerlich mit einem Mal, wie er da vor ihr saß, im Dreck.
Biggi war stehengeblieben, obwohl sie sonst immer zu verschwinden versuchte, wenn sie Betrunkene sah. Als die Polizisten auf sie zukamen, hockte er noch immer da, doch sie kümmerten sich nicht mehr um ihn. Er jammerte und fluchte und beschimpfte die ganze Welt.
Die Henkel trug ein Kostüm mit einer taillierten Jacke über einem ziemlich engen Rock und Biggi kam sich blöde vor in ihrem
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