Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
Vom Netzwerk:
grinsten, zumindest sah sie es in ihren Augen, und sie wünschte sich dann jedesmal, sie hätte es nicht gesehen. Ihre Wohnung war der Ort, wo niemand war. Niemand stellte sie hier auf die Probe. Manchmal taten die Leute das ja, wollten wissen, ob man mitreden konnte. Biggi wußte nie, über was die Leute redeten, wenn sie montags vom Wochenende kamen, von den tausend Leuten berichteten, die sie am Wochenende getroffen hatten. Ihre Wohnung war der Ort, an dem sie sich keine Worte zurechtlegen mußte, keine Gesten, der Ort, an dem sie nicht redete, höchstens mal am Telefon, aber auch das eher selten. Darum fiel ihr auch nicht ein, was sie sagen sollte, als die Kripo am nächsten Tag bei ihr anrief, Stocker. Er war nett, fragte höflich, ob sie Zeit habe. Noch ein kurzes Gespräch im Präsidium. Sie nickte, doch das konnte er ja nicht sehen. Er legte auf, noch bevor sie gefragt hatte, um was es denn ging.

26
    Martin Fried hatte blondes Haar und blaue Augen. Er trug einen grauen Anzug mit weißem Hemd und dunkler Krawatte. Die Krawatte war verrutscht, und der Anzug war zu eng, aufgehoben und geschont für große Augenblicke. Er hob den Kopf und sagte: »Man hat halt ein paar Macken.« Dann lächelte er den Moderator an, und Gabriel Mosbach lächelte zurück. »Mit den Macken muß man leben«, sagte Martin Fried. Er war groß und kräftig und am Leben.
    »Gucken Sie mal«, sagte Stocker.
    Pagelsdorf stand mit zwei Mappen mitten im Raum und seufzte. Der Chef der Mordkommission fragte: »Haben Sie es verkraftet?«
    »Erschlagen«, sagte Ina Henkel. »Schädel zertrümmert.«
    Pagelsdorf seufzte erneut.
    »Ich bastele ein bißchen«, sagte Martin Fried. »Mache ich nur so für mich.«
    »Nasenbein auch.« Ina Henkel malte ein Strichmännchen in ihr Notizbuch, eins ohne Gesicht. Wie Bischof kein Gesicht, wie Fried kein Gesicht und kein Körper mehr.
    »Wie?« fragte Pagelsdorf.
    »Nasenbein zerschmettert.«
    »Ah«, sagte Pagelsdorf.
    »Na ja«, sagte Martin. »Die Leute, die interessieren sich nicht so für das Basteln, gehen lieber tanzen oder so. Es ist schwierig, jemand kennenzulernen, der sich auch für das Basteln interessiert.«
    »Obwohl« – Sie malte weiter, ohne hinzusehen, drei Kreuze neben das Strichmännchen, eins darüber. »Nase war schon ziemlich aus dem Leim.«
    »Oh Gott«, sagte Pagelsdorf.
    Im Konferenzraum der Mordkommission waren die Jalousien heruntergelassen, vom Fernseher kam grelles Licht. Das Videogerät summte. Stocker lehnte an der Wand und sah zu, wie Martin Fried zappelte; er konnte nicht ruhig sitzen, bewegte den Oberkörper vor und zurück. Stocker schüttelte den Kopf. »Was für ein Zappelphilipp, gucken Sie doch mal.«
    »So was kann ich verdammt gut leiden.« Ina Henkel stand auf. »Kennen Sie die Leute, die im Kino bei jeder zweiten Szene fragen: Hast du das gesehen? Da könnte ich Stinkbomben werfen.« Sie nahm einen Schnellhefter vom Tisch und sah sekundenlang auf die Seiten. »Fried, Martin, einunddreißig Jahre. Nicht verheiratet, arbeitslos, keine Vorstrafen, keine Erkenntnisse. Aufgefunden nach so einem komischen –« Sie klopfte auf das Blatt und sah Pagelsdorf an. »Na ja, war kein anonymer Anruf, war ein anonymes Fax, mal was Neues. Meldung durch Polizeihauptmeister Hieber.«
    Martin Fried stieß einen Arm nach vorn, und es sah aus, als würde er sich gleich auf den Moderator stürzen, doch Gabriel Mosbach schien mit diesen Dingen nicht zu rechnen. Er kam einen Schritt näher, und seine Stimme war sanft, als er fragte: »Martin, möchtest du raus?«
    »Ja«, sagte Martin.
    »Aus diesem Teufelskreis?« Mosbach senkte den Kopf. »Denn du lebst in einem Teufelskreis, das weißt du.«
    »Na ja.« Martin Fried ließ den Arm wieder sinken. Er hatte ihn ohnehin nur benutzt, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen; unaufhörlich, wenn er redete, war der Arm in Bewegung. »Eigentlich, wie soll ich sagen, bin ich ganz gern allein, weil – wegen der Macken. Man kommt sich dumm vor, wenn man unter Leuten ist und der Schweiß bricht einem aus. In der U-Bahn ist das schlimm. Und ich muß U-Bahn fahren, um in die Stadt zu kommen.«
    »Platzangst«, sagte Mosbach.
    »Nein«, sagte Martin, »nein«. Er drehte die Handflächen nach oben. »Es ist eigentlich Klaustrophobie, von was ich jetzt rede, Raumangst. Also, Platzangst ist die Angst vor weiten Plätzen, wie es das Wort ja schon sagt. Agoraphobie, das ist Platzangst. Meistens halten die Leute ja alles für Platzangst, auch die

Weitere Kostenlose Bücher