Mimikry
hätte sie eine andere Antwort erwartet. Sie starrte Biggi an, und ihre Pupillen waren verengt, so, als hätte sie etwas genommen. Gabriels Augen hatten einmal so ausgesehen, als er Kokain genommen hatte, er hatte überall herumerzählt, daß es sich nicht lohne.
»Sie haben –« Die Henkel stand auf und nahm Stocker den Ordner aus der Hand. »Was haben Sie – wie haben Sie’s denn formuliert?«
Biggi setzte sich ganz gerade hin. »Also, wörtlich weiß ich es nicht mehr, aber so ungefähr, daß da bestimmt ein Toter liegt in diesem Hochhaus und daß der ja völlig verwest, wenn ihn niemand findet. Es ist so grausig, wenn die Leute –« Sie holte Luft.
Die Henkel ließ die flache Hand auf das Papier klatschen. Stocker fragte leise: »Und warum haben Sie das gemacht? Wie kam es dazu?«
Biggi legte die Hände auf die Knie. »Martin hat tatsächlich die ganze Zeit da gelegen?«
Sie sagten nichts. Stocker sah sie an, als bemerke er sie überhaupt zum allerersten Mal, guckte sich ihr Haar und alles an. Sie rückte ihren Stuhl etwas weiter von ihm weg.
Die Henkel warf den Ordner auf den Tisch, lehnte sich gegen die Fensterbank und verschränkte die Arme. »Warum haben Sie das Fax direkt an die Mordkommission geschickt?« Ihre Stimme war jetzt nicht mehr so sanft, eher mürrisch und gereizt.
»Weil Sie – ich habe Sie doch kennengelernt wegen Julia, ich wußte, daß Sie da zuständig sind. Bei einem Todesfall. Ich dachte, das kann nicht verkehrt sein.«
»Warum haben Sie überhaupt ein Fax geschickt?«
Biggi hob die Schultern. »Ich dachte, bis man telefonisch mal da ist, wo man hin will – Faxe kommen ja meistens an die richtige Stelle. Ich habe nicht unterschrieben, ich weiß, das war ein Fehler. Ich konnte aber nicht unterschreiben, weil ich das Fax vom Computer aus geschickt habe, verstehen Sie?«
Die Henkel sagte: »Hm« oder etwas in der Art.
»Über ein Modem«, sagte Biggi. »Also, ein Modem, das am PC –«
»Okay, ich bin nicht blöd«, sagte die Henkel.
Biggi nickte, dann schüttelte sie den Kopf. »Und da kann man nicht unterschreiben. Ich meine, man kann seinen Namen darunter tippen, aber es ist dann keine –«
»Sicher, ja«, sagte die Henkel, was jetzt so klang, als hätte sie gesagt: Halt’s Maul.
»Ja«, wiederholte Biggi. Sie merkte, wie ihre Stimme sich verlor, wie dumm das alles klang, obwohl es stimmte. Sie wollten Erklärungen. Dann moserten sie herum, wenn sie sie bekamen.
Die Henkel setzte sich halb auf die Fensterbank, so, wie sie in ihrer eigenen Wohnung gesessen hatte, nachts, mit dem Lichtschein hinter ihr. Stocker machte weiter, fragte: »Wie kamen Sie auf die Idee, daß da ein Toter liegt?«
Biggi senkte den Kopf, sah auf ihre Hände. Sie konnte sie nicht vorzeigen, sie knabberte manchmal die Nägel an. Das ging automatisch, sie wollte das nicht. Die Henkel hatte lackierte Nägel mit der richtigen Länge. »Es war so, Martin Fried – Gabriel fand ihn gut, damals in der Sendung. Martin hatte tausend, wie sagt man, Ängste. Er hat sich vor allem gefürchtet, er war auch dauernd allein. Das hat er dann alles in der Sendung erzählt, Gabriel war mit der Sendung sehr zufrieden.« Biggi räusperte sich. Stocker ließ einen Bleistift über den Tisch rollen.
»Frau Benz –« Die Henkel sprang von der Fensterbank weg und setzte sich wieder neben sie. »Er war allein. Weiter?« Ihre Stimme war ganz heiser mit einem Mal. »Ich meine, rennen Sie jetzt durch die Stadt und finden Leichen? Brauchen wir ja keine Spürhunde mehr, kommen Sie halt zu uns.«
Biggi hörte, wie Stocker sich erneut räusperte.
»Entschuldigung«, murmelte die Henkel. Einen Moment lang guckte sie auf Biggis häßliche Schuhe und dann zur Decke, an der sich nichts tat.
»Warum?« fragte Biggi. Sie wollte mit ihr darüber reden, was für eine arme Sau Martin Fried gewesen war, sie würde sich wundern. So ein armer Teufel. Aber sie brachte die Worte nicht so heraus, wie sie es wollte, es war immer dasselbe. Sie hatte die Worte im Kopf, da klangen sie gut, aber sie blieben da drin. Sie wollte sagen, wie komisch es war, daß Martin, der nie ausgegangen war, sein Leben sogar in die Öffentlichkeit getragen hatte, einmal im Leben alles gesagt hatte, Julia auch. Ihren ganzen Dreck hatten sie ausgebreitet, als hätten sie gewollt, daß gleich das ganze Land davon erfuhr.
Sie sagte: »Gabriel fand ihn damals sehr gut. Martin. Ja, und ich dachte, weil Gabriel zur Zeit im Tief ist, also, seine Sendung wird
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