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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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trinken.«
    Sie nahm ihr Notizbuch und klemmte zwei Mappen unter den Arm. »Haben Sie mal so ein Schnellgericht gemacht? Auflauf? Muß man ja Magenschmerzen kriegen. Da schreiben die auf die Packung: Inhalt des Beutels in eine flache Auflaufform geben. Unterstreichen sie noch, das flach. Soundsoviel Wasser dazugeben. Nachher quellt das, läuft über und der ganze Herd ist eingedreckt. Flache Auflaufform, die ticken ja nicht richtig. Wir müssen los.« Sie ging zur Tür.
    »Sie hatten noch einen Joghurt im Kühlschrank«, sagte Stocker. »Den habe ich weggeschmissen, der war abgelaufen. Achten Sie mal drauf.«
    »Der schmeckt eh nicht.«
    »Ja, verdammt, darum können Sie doch Ihr Zeug entsorgen.«
    Sie gähnte, lehnte sich gegen die Tür. »Diese supergesunden, die schmecken alle Scheiße. Linksgedreht, wer will denn so was essen.« Mappen und Notizbuch fielen auf den Boden. Sie schloß die Augen.

27
    Merkwürdige Dinge konnten passieren. Man besaß ein Fernglas, weil man einmal im Leben in der Oper war, und man hatte es weggepackt und nicht mehr daran gedacht, und dann hielt man es plötzlich in der Hand und guckte damit aus dem eigenen Wohnzimmerfenster in die Wohnung des Nachbarn. Sah den Nachbarn am Eßtisch sitzen, mit der Nachbarin. Sah, wie sie redeten, konnte förmlich hören, wie sie einander ihren Tag erzählten, leichthin, mit wenigen Worten, konnte den Salat auf dem Tisch sehen, die Weingläser und alles, was dazugehörte zum Nachbarn und der Nachbarin und ihrem Leben.
    Biggi sprang vom Fenster zurück und zog die Gardine wieder gerade. Das Fernglas hatte sie gefunden, als sie alte Schuhe wegpacken wollte, sie konnte nichts wegwerfen, bewahrte alles auf, oben im Schrank war es gewesen.
    Sie schob es in ihre Schultertasche. Die Nachbarn waren nicht wichtig. Kleine Leute in kleinen Wohnungen, man konnte sie husten hören, so dünn waren die Wände. Im Stockwerk über ihr bekamen sie dauernd Besuch, und man hörte Gelächter und manchmal sogar das Klirren von Gläsern, still war es nie. Aufdringliche Leute, doch ihr Glück war, daß sie gefunden wurden, wenn sie in der Wohnung lagen, wenn sie, woran man nicht denken durfte, alles verloren, was sie zu Menschen machte, den Atem, den Herzschlag, die Freude. Vielleicht wußten sie gar nicht, daß es ein Glück war, nahmen es einfach so hin.
    Manchmal stellte Biggi sich vor, es sei ein schöner Altbau hier, so ein stolzes altes Haus in einer stillen Straße. Bäume davor. Ruhig und friedlich wie ein kleines Paradies. Sie las die Wohnungsanzeigen, doch anscheinend hatte sie nicht das richtige Auftreten oder sagte die falschen Dinge. Einer dieser Makler hatte ihr vorgeschlagen, sie brauchte eine Wohnung mit Aufzug, oder? Aber so was brauchte sie nicht und auch nicht dieses Geschwätz. Leute wie die Henkel bekamen diese Wohnungen, schicke Leute, die nie nach Worten suchen mußten.
    Sie ging im Zimmer umher, hielt sich an den Möbeln fest, verschob Vasen und Pflanzen, ging zur Tür und sah nach, wie es aussah, rückte alles wieder so hin, wie es vorher war, und es gefiel ihr noch immer nicht. Es gefiel ihr eigentlich nie, und sie wußte nicht, warum sie immer wieder die Zeitschriften abzählte, die seit Wochen so lagen, so liegen mußten, falls sie jemand sah, was kaum der Fall sein würde, Spiegel, Cinema, New Yorker, eins, zwei und drei, etwas nachlässig daliegend, wie zufällig hingeworfen, weil im Lesen gestört und doch ganz exakt so hingelegt, wie abgezirkelt und vermessen, man mußte sie mal erneuern, man wurde wunderlich, man wußte es.
    Man hatte irgendein Kribbeln in sich und wußte nicht, woher es kam. Wohin es führte, daran konnte man nicht denken. Es war kein Kribbeln im Körper, es war ein Kribbeln im Kopf. Sie legte noch Allegra und Vogue dazu; viele Modefotos waren darin, und sie wußte eigentlich nicht, was sie damit sollte.
    Den ganzen Tag hatte sie darüber nachgegrübelt, ob die Henkel sie gesehen hatte, als sie da am Fenster hockte, um in die Nacht zu gucken. Aber das konnte nicht sein. Hätte sie sie gesehen, hätte sie selber angerufen, nicht Stocker. Hätte sie ganz anders aufs Präsidium zitiert, als Stocker das getan hatte. Er war ja sehr freundlich gewesen. Die Henkel hätte sich nicht dauernd geräuspert am Telefon und wäre ins Schwimmen gekommen, so, wie Biggi das am Telefon passierte, dauernd passierte, was sie nicht abstellen konnte, obwohl sie es wollte. Nichts von all dem, die hätte einfach gefragt. Geradeheraus gefragt, sie

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